Menschen, die vermeintlich als „slawisch“ gelesen werden, erfahren in Deutschland strukturelle Diskriminierung. Im April 2023 haben wir mit dem Antidiskriminierungstrainer Sergej Prokopkin einen Workshop zum Thema Antislawismus angeboten. Er war Teil unserer Reihe OSTOPIE gemeinsam mit der Jungen DGO Bremen (Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde) und dem Theater Bremen.
Isabella Schefner, Teilnehmerin des Workshops und Autorin bei den frauenseiten, zeigt in ihrem Artikel auf, wie sich Antislawismus im Alltag und in den Medien ausdrückt, wie er historisch herankert und mit anderen Diskriminierungsformen, z.B. Sexismus, verwoben ist.
Klauende Polen, gewaltbereite, Wodka-trinkende Russen und hübsche Frauen in Pelzmänteln: Jeder kennt diese Vorurteile, die mit Menschen aus Osteuropa in Verbindung gebracht werden und bis heute in Medien verbreitet werden. Doch bei „Witzen“ und Stereotypen bleibt es nicht, denn Menschen, die vermeintlich als „slawisch“ gelesen werden, widerfährt strukturelle Diskriminierung und Gewalt in Deutschland. Gesprochen wird darüber aber wenig. Also was ist eigentlich Antislawismus?
Definition: Antislawismus
Die Berliner Landeszentrale für politische Bildung definiert den Begriff folgendermaßen: „Antislawismus operiert mit rassistischen Logiken, mit Pauschalisierungen, Vorurteilen und Hierarchisierungen. Die Zuschreibungen werden aber nicht mit Hautfarbe oder Religion verknüpft, sondern mit einer angeblichen „Kultur“ bzw. „Kulturlosigkeit“.“
Sergej Prokopkin ist Jurist & Antidiskriminierungstrainer und informiert über das Thema unter anderem auf social media. Er definiert Antislawismus ähnlich: „Antislawismus ist eine Form der strukturellen Diskriminierung, die mit rassistischen Logiken operiert und in historischer Kontinuität zur Unterdrückung von Menschen führt, denen eine Zugehörigkeit zu einer sozialkonstruierten Gruppe – „die Slaw*innen“ bzw. „Osteuropäer*innen“ – zugeschrieben wird.“
Was bedeutet das genau? Strukturelle Diskriminierung ist tief in das Handeln und Denken einer Gesellschaft verwoben und erfolgt meist auf drei Ebenen (individueller, kultureller und institutioneller Ebene). Die Diskriminierung, die Osteuropäer*innen widerfährt, gleicht rassistischer Diskriminierung, doch hier ist Vorsicht geboten: Das Argument des „Rassismus gegen Weiße“ wird gerne von der rechten Szene instrumentalisiert, um den Rassismus-kritischen Diskurs zu überschatten. Dennoch besteht auch in der Wissenschaft große Einigkeit darüber, dass sich Rassismus nicht nur nach der Hautfarbe richtet. So gibt es beispielsweise Rassismus gegen Sinti*zze und Rom*nja, antiasiatischen- und antimuslimischen Rassismus und eben Antislawismus. Begründet wird rassistische Diskriminierung oft mit angeblichen biologischen Merkmalen, die bestimme Menschen einer Kultur haben sollen. So seien Osteuropäer*innen „von Natur aus“ trinkwütig, eher aggressiv und Polen hätten einen Hang zum Diebstahl. Die auf biologischer Überlegenheit basierende „Rassentheorie“ nutzten schon die Nationalsozialisten, doch dazu weiter unten mehr.
Antislawismus ist manchmal schwierig zu erkennen, da oft weitere Diskriminierungsformen eingewoben sind. So spielen Sexismus, Klassismus und Antisemitismus und deren Überschneidung ebenfalls eine wichtige Rolle. Vor allem Frauen aus Osteuropa werden stark sexualisiert und auf ihr Aussehen und ihren Akzent reduziert. Sinti*zze und Rom*nja haben mit Antiziganismus zu kämpfen und Menschen aus dem Balkan beispielweise mit antimuslimischer Diskriminierung.
Wichtig zu wissen ist es, dass die Gruppe „der Slawen“ so nie existiert hat. Denn die Slaw*innen sind keine homogene Gruppe, da Osteuropa aus unterschiedlichen Kulturen mit verschiedenen Sprachen und Geschichten besteht. Diese Konstruktion basiert auf Fremdzuschreibungen und führt zur Unsichtbarmachung von Kulturen. Es gibt also keine bestimmten Nationen oder Ethnien, die explizit von Antislawismus betroffen sind: Es wird ein Bild und Stereotyp auf eine Person oder Gruppe projiziert, die vermeintlich als slawisch oder osteuropäisch wahrgenommen wird, auch wenn das gar nicht zutreffen muss.
Antislawismus in der deutschen Geschichte
Antislawismus ist in Deutschland kein neues Phänomen, denn schon im 19. Jahrhundert gab es die Annahme, dass „die Slawen“ ein unterentwickeltes und primitives Volk waren. Die Nationalsozialisten konzipierten das Bild des „slawischen Untermenschen“, welcher lediglich als Zwangsarbeiter gut genug war. Sie sollten für die Deutschen dienen. Nach Schätzungen wurden 2,2 Millionen sowjetische Zivilisten zur Zwangsarbeit verschleppt.
In der Rassentheorie der Nationalsozialisten waren die Germanen dementsprechend die höchstentwickelte „Rasse“, welche sich, um ihre natürliche Führungsmacht auszuleben, an den Regionen des Osten bedienen durften. Deutscher Kolonialismus spielte sich vor allem im Osten Europas ab, welcher mit einer „zivilisatorischen Mission“ begründet wurde. Durch ihre angebliche biologische und kulturelle Überlegenheit war es die Aufgabe der „Herrenrasse“, die „primitiven Slawen“ weiterzuentwickeln. Antisemitismus und Antiziganismus spielten hier ebenfalls eine große Rolle.
Mit dem „Lebensraum im Osten“ erreichte der deutsche Kolonialismus zusammen mit dem Vernichtungsgedanken seine Höchststufe: Osteuropa sollte bis zum Ural zum deutschen Siedlungsgebiet werden und die dort lebenden Menschen umgesiedelt, vertrieben oder auch „vernichtet“ werden. Neben jüdischen Menschen, waren sowjetische Zivilisten die zweitgrößte Gruppe, die durch die Verbrechen der Nationalsozialisten starben: 7 Millionen Menschen. Dazu kommen 3,3 Millionen sowjetische Kriegsgefangene, die zwischen 1941 und 1945 in deutschen Lagern umkamen. Hingegen lag die Todesrate bei anderen Kriegsgefangenen bei maximal zwei Prozent. Zudem wurden ganze sowjetische Dörfer dem Erdboden gleichgemacht.
Bis heute findet keine Aufarbeitung statt. Es gibt weder einen Gedenktag noch eine Gedenkstätte für die im zweiten Weltkrieg ermordeten „slawischen Untermenschen“. Selbst die Aufarbeitung in den Schulen ist nach wie vor mangelhaft.
Auch im Kalten Krieg fand der Antislawismus kein Ende, denn die ideologischen Gegensätze zwischen Ost und West begünstigten den Hass und die Diskriminierung. Antikommunismus lief im Westen oft mit dem Antislawismus Hand in Hand. Vor allem in der westlichem Popkultur setzte sich das Bild des*r „russischen Spion*in“ fest. In vielen Hollywood-Filmen dieser Zeit ist eine vermeintlich slawische Person der Bösewicht. In der DDR hingegen spielte durch die Nähe zur Sowjetunion Antislawismus offiziell keine Rolle. Durch die Russifizierungspolitik in Osteuropa kam es zu einer künstlichen Homogenisierung und „osteuropäisch“ und „slawisch“ wurde immer mehr mit „russisch“ gleichgesetzt, was teilweise bis heute anhält. Aber: Nur weil jemand Russisch spricht, bedeutet das nicht, dass er*sie Russ*in ist!
Und heute?
Im Laufe der Jahre sind Millionen Menschen aus Osteuropa und den ehemaligen sowjetischen Staaten nach Deutschland gekommen: „Gastarbeiter*innen“, Spätaussiedler*innen, jüdische Kontingentflüchtlinge oder auch Menschen auf der Flucht vor dem russländischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Gegensätzlich zu anderen Migrationsgruppen werden sie zwar als „weiß“ wahrgenommen, erfahren aber durch ihren Akzent, Namen oder andere Merkmale Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt oder bei der Wohnungssuche. Im besten Falle gelten sie als „unsichtbar“ oder gar als „Mustermigrant*innen“, doch dadurch werden ihnen ihre Erfahrungen und die erlebte Diskriminierung abgesprochen. Antislawistische Gewalt bleibt in Deutschland präsent. Das Rohrbombenattentat in Düsseldorf-Wehrhahn 2000 oder der Mord an drei jungen Spätaussiedlern in Heidenheim 2003 sind nur zwei traurige Beispiele dafür.
Auf dem deutschen Arbeitsmarkt finden sich Osteuropäer*innen oft im unteren Bereich der Arbeitshierarchie. Im Dienstleistungssektor als Pflegekräfte, in der Landwirtschaft oder auch in der Bauwirtschaft sind osteuropäische Menschen besonders oft vertreten und werden ausgebeutet.
In den Medien werden gerne Stereotypen und Vorurteile unter dem Deckmantel der Satire reproduziert. „Lustige“ Videos mit übertriebenem russischen Akzent, Jogginganzüge und Alkoholkonsum spielen wieder auf die angebliche „Rückständigkeit“ osteuropäischer Kulturen an. Wenn man auf die diskriminierenden Aspekte dieser Witze aufmerksam macht, steht man leicht als Spielverderber*in da.
Deutschland hat noch einen weiten Weg im antislawistischen Diskurs zurückzulegen. In der Wissenschaft steckt das Thema ebenfalls noch in den Kinderschuhen, doch Antislawismus als rassistische Diskriminierungsform erhält mittlerweile mehr Aufmerksamkeit. Dekonstruktion von Stereotypen und Vorurteilen bleibt jedoch auch eine gesellschaftliche Aufgabe, die mit Bildung und Aufklärung beginnt, vor allem zur antislawistischen Geschichte Deutschlands.
Falls euch das Thema interessiert, findet ihr hier einige Quellen und weitere interessante Beiträge zum Thema Antislawismus.
Dieser Artikel von Isabella Schefner erschien auch auf frauenseiten.bremen.de