Politische Gewalt damals und heute: Von der Organisation Consul zu NSU und Hannibal

Veranstaltungsbericht

Vor etwa 100 Jahren verübten Mitglieder der rechtsradikalen Organisation Consul Mordanschläge auf Repräsentanten des demokratischen Staates. Inwiefern sind diese Taten und Ideologien vergleichbar mit denen der gegenwärtigen radikalen Rechten? Welche Problemstellungen gibt es in den staatlichen Sicherheitsorganen?

Darüber diskutierten Benjamin Dürr (Politologe), Kersten Augustin (Journalist), Antje Gander (Landesamt für Verfassungsschutz) und Kai Wargalla (Bündnis 90/Die Grünen).

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Auf der Bühne des Falstaff sitzen nebeneinander die Diskussionsgäste aus seitlicher Perspektive: Benjamin Dürr (Politologe), Kersten Augustin (Journalist), Antje Gander (Verfassungsschutz), Kai Wargalla (Bündnis 90/Die Grünen), sowie der Moderator Matthias Loeber.

Am 24. Juni 1922 wurde Reichsaußenminister Walther Rathenau von Aktivisten der rechtsradikalen Organisation Consul erschossen. Im Vorjahr war der frühere Reichsfinanzminister Matthias Erzberger einem Anschlag der Gruppe zum Opfer gefallen. Philipp Scheidemann, bekannt als Ausrufer der Deutschen Republik während der Novemberrevolution, hatte einen Mordversuch knapp überlebt. Sie alle waren der radikalen Rechten als Repräsentanten des demokratischen Staates, der aus Kriegsniederlage und Revolution hervorgegangen war, verhasst. Teils jahrelange Hetzkampagnen hatten den ideologischen Boden für die politischen Morde bereitet.

Am 2. Juni 2019 wurde der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke auf der Veranda seines Wohnhauses aus nächster Nähe erschossen. Der Rechtsextremist Stefan Ernst hatte die Tat begangen, nachdem Lübcke aufgrund seines Einsatzes für Geflüchtete seit 2015 beispiellosen Rufmordkampagnen aus der parlamentarischen und außerparlamentarischen radikalen Rechten ausgesetzt gewesen war.

Mediale Schmähkampagnen, fußend auf verzerrten oder falschen Darstellungen, hatten den Mordtaten ideologisch vorgearbeitet. Die staatlichen Sicherheitsorgane hatten damals wie heute Schwierigkeiten, weitreichende rechtsradikale Netzwerke im Hintergrund zu erkennen, sei es aus eigener Verstrickung oder wegen des in der Gegenwart hochproblematischen V-Leute-Systems. Wie die Hintermänner der „OC"-Morde der 1920er Jahre nie zur Rechenschaft gezogen werden konnten, scheiterten Verfassungsschutz, Polizei und Justiz in der jüngeren Vergangenheit an der rechtzeitigen Entdeckung und Bekämpfung rechtsradikaler Gruppierungen wie des NSU. Im Falle des 2017 aufgedeckten Hannibal-Netzwerks waren Kräfte von Bundeswehr und Polizei unmittelbar an dessen Aufbau beteiligt.

Die Podiumsdiskussion erinnerte an die Mordtaten vor 100 Jahren und versuchte, die historische mit der gegenwärtigen Situation zu vergleichen. Diskutiert wurden ideologische Vorannahmen der radikalen Rechten, Problemstellungen in den staatlichen Sicherheitsorganen und Möglichkeiten einer wehrhaften Demokratie.

Es diskutierten:

  • Benjamin Dürr, Politologe, Jurist und Publizist. In seiner 2021 erschienenen Erzberger-Biografie beleuchtet er die systematischen Hetzkampagnen der radikalen Rechten gegen den Friedenspolitiker Erzberger, die den Boden für dessen Ermordung bereiteten.
  • Kersten Augustin, Journalist. Für die taz recherchierte er zu rechtsradikalen Verstrickungen in staatlichen Sicherheitsorganen, etwa bei der Bundestagspolizei oder im bis heute nicht aufgeklärten Todesfall Oury Jalloh.
  • Antje Gander, Leiterin des Referats Rechts- und Linksextremismus im Landesamt für Verfassungsschutz Bremen.
  • Kai Wargalla, seit 2016 MdBB für Bündnis 90/Die Grünen, dort u.a. Fraktionssprecherin für Strategien gegen Rechtsextremismus.

Die Moderation des politischen Salons übernahm der Historiker Matthias Loeber (Bremen). Beteiligt waren der Verein Erinnern für die Zukunft e.V., die Heinrich Böll-Stiftung Bremen und die Landeszentrale für politische Bildung Bremen.

Die Veranstaltung war Teil des Bremer Programms zum 27. Januar.