Die eurasische Perspektive, Filme vom Rand Europas: Georgien

Filmreihe

September 2018, City46. Georgien ist das Gastland bei der Frankfurter Buchmesse 2018.

In Kooperation mit dem Kommunalkino City46 zeigen wir insgesamt sieben neuere Produktionen aus Georgien.

Lesedauer: 8 Minuten
Ausschnitt der Stadt Sighnaghi in der Region Kakheti im Osten Georgiens.
Teaser Bild Untertitel
Ausschnitt der Stadt Sighnaghi in der Region Kakheti im Osten Georgiens.

„Filme aus Georgien liegen im Trend. Seit einigen Jahren bekommen sie die Aufmerksamkeit von internationalen Filmfestivals und zunehmend auch von Weltvertrieben. Im Landesinneren schwelt unterdessen noch ein Generationenkonflikt, denn aufstrebende Filmschaffende wenden sich vom kulturellen Raum der ehemaligen Sowjetunion ab und wollen sich an breiteren europäischen Diskursen beteiligen. Wie werden dieser Wandel und die Ablösung von der sowjetischen Vergangenheit im Dokumentarischen reflektiert?“ Katalogtext des DOK Leipzig 2017

Georgien als Land an der Grenze zwischen Europa und Asien und mit seiner historischen Prägung durch die Sowjet-Vergangenheit zeichnet sich seit einigen Jahren durch eine rasante Entwicklung und eine dynamische Kulturszene aus. Georgische Bürger können seit dem Frühjahr 2017 ohne Visum in die EU einreisen.

 

Die Filme:

Alles über Menschen / Georgien

In neun Episoden, abwechselnd in Georgien und in Deutschland angesiedelt, erzählt Abashishvili von ganz unauffälligen Menschen und ganz beiläufigen Momenten. Da ist der Malerlehrling, der lieber Dichter sein möchte. Der Großvater, der seinen Enkel in der Stadt verliert. Da sind der Priester und der Polizist, die für einen kurzen Moment aus ihren Pflichten ausbrechen. Da geht es mal komisch zu und mal überraschend, mal tragisch, mal auch phantastisch, aber immer unaufgeregt – entschleunigt sozusagen. Grundlage dieser atmosphärisch dichten, poetisch ausgestalteten Begegnungen zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft, unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Lebenseinstellungen sind Geschichten des georgischen Schriftstellers Nodar Dumbadze.

Bei dem Film handelt es sich um die Abschlussarbeit des 1976 in Georgien geborenen Giorgi Abashishvili an der Kunsthochschule Kassel.

D/GEO 2016, Regie: Giorgi Abashishvili, mit Kakhi Kavasadze, Tamar Skhirtladze, Sven Walser, 72 Min., georg. OmengU



Geboren 1976 in Georgien, machte Abashishvili seinen Abschluss an der Staatlichen Universität Tiflis als Ingenieur der Flugzeugtechnik. Zu dieser Zeit drehte er auch seinen ersten Kurzfilm "Die Kuh". In Deutschland studierte er Film und Fernsehen an der Universität Kassel und wurde dort Gründungsmitglied der NUR film group - ein Zusammenschluss internationaler Filmemacher und Produktionsfirmen.

Mit seinen Kollegen Jörn Möllenkamp und Behrooz Karamizade betreibt Giorgi Abashishvili die Filmproduktionsfirma LPP (Living Pictures Production), deren aktuelles Kinoprojekt "Zwei Schafe" Drehbuchförderung vom Kuratorium junger deutscher Film erhielt.

Mit den Geschichten und Romanen Nodar Dumbadzes ist Giorgi Abashishvili seit seiner Kindheit aufgewachsen. Erzählt und vorgetragen bekam er sie von seiner Mutter, die wie Nodar Dumbadze aus Gurien in Westgeorgien kommt, deren Bewohner als explosive und gleichzeitig humorvolle Charaktere gelten.

Do. 6.9. + Mo. 10.9. / 18:00; So. 9.9. + Di. 11.9. / 20:30

Im Licht des Sonnenuntergangs / The Dazzling Light of Sunset

Sie berichten über Hochzeitsfeiern und Beerdigungen, von eingefangenen Eulen und neuen Gehwegen: Das Team des Fernsehsenders „Jikha TV“ macht das Leben in der westgeorgischen Provinz zu Nachrichten. Dariko Beria, Reporterin und zugleich Moderatorin, sucht mit dem Camcorder dringend benötigte Geschichten. Regisseurin Salomé Jashi folgt ihr in einem Alltag zwischen sorgsam bewahrter Tradition und unübersehbarer Veränderung. Volkstänze, Modenschau, anstehende Regionalwahlen: die sorgfältig komponierten Einstellungen lenken den Blick auf Menschen, die sich in religiösen, kulturellen und politischen Ritualen selbst inszenieren. Ein Film über den Lokaljournalismus – und das Streben nach Würde, das zwar manchmal hochkomisch, aber nie lächerlich ist.

Daisis Miziduloba - GEO/D 2016, Regie & Kamera: Salomé Jashi, 74 Min., georgisch OmengU



Salomé Jashi ist eine Dokumentarfilmerin aus Georgien. Nach einigen Jahren Berufserfahrung als Journalistin, studierte Salomé Jashi 2005 Dokumentarfilm an der Royal Holloway, Universität London. In Georgien gründete sie nach ihrer Rückkehr die Produktionsfirma: Sakdoc Film (www.sakdoc.ge). Neben dem Filmemachen wirkte Jashi an Caucadoc mit, ein Projekt, das die Entwicklung der Dokumentarfilmszene im Südkaukasus förderte. Sie unterrichtet in Internationalen Workshops und lebt zwischen Tbilisi und Berlin.« 



Mo. 17.9. / 20:30  mit Nino Lejava, Heinrich Böll Stiftung Tbilisi

Madonna

Die 57-jährige Madonna steuert als einzige Frau in Tiflis einen Linienbus durch den Stadtverkehr. Madonna hat sich in dem „Männerjob“ durchgesetzt und lenkt ihr marodes Gefährt selbstbewusst durch die Straßen und immer wieder in die Reparaturwerkstatt. Dabei gerät Madonna immer wieder zwischen die Grenzen, die die patriarchale georgische Gesellschaft setzt. Regisseur Nino Gogua begleitet die starke Frau in ihrem Alltag, auch in der Auseinandersetzung mit ihrer femininen Seite. Zum internationalen Frauentag wird Madona von den Arbeitskollegen wohl wieder keine Blumen bekommen. Deshalb will sie sich selbst ein Geschenk machen, zum Beispiel eine neue Frisur.

Georgien 2014, Regie: Nino Gogua, 58 Min., georgisch OmengU



Muss leider entfallen:

Bibliotheka – Von Büchern, einsamen Frauen und einem Leser


In der städtischen Bücherei von Zugdidi in Georgien fallen die Bibliothekarinnen komplett aus der Rolle. Es wird gequatscht, getratscht und geschrien, irgendjemand hämmert auf einem Klavier herum, in den Lesesälen wird gegessen und getrunken, Türen werden geknallt – wahre Dramen spielen sich ab in einer Einrichtung, die doch von Stille und Konzentration geprägt sein sollte. Die Anzahl der Mitarbeiterinnen scheint die der Besucher bei Weitem zu übersteigen. Doch beim Anblick der teils baufälligen Räume mit bröckelndem Putz und blankem Betonboden wird es deutlich: Dieser Ort ist ein Anachronismus, ein Überbleibsel aus einem anderen System, einer anderen Zeit. Vielleicht stellt die Bücherei lediglich noch einen Treffpunkt für die Bibliothekarinnen dar, die ohne diesen Ort auch nichts anderes wären als Überbleibsel.

Georgien, Litauen 2014, Regie, Kamera & Schnitt: Ana Tsimintia, 54 Min., georgisch OmengU



Di. 18.9. / 20:30



Listen to the Silence

Irgendwo in Georgien liegt diese Schule für gehörlose Kinder, in die uns Regisseurin Mariam Chachia mitnimmt. Zum Beispiel zu Luka, dem Träumer, der mit dem Temperament eines kleinen Wirbelsturms in der Stille seines Körpers lebt. Bei uns würde man einen Jungen wie Luka vermutlich als hyperaktiv beschreiben und auf Ritalin setzen. An der georgischen Peripherie hingegen sagen die Lehrer: „Ihm fehlen halt die Eltern.“ Oder: „Das sind eben Jungs, die müssen mal raufen.“ Wie ein Märchen beginnt dieser bezaubernde Film über diesen unwahrscheinlichen Ort. Hier erleben wir die Schule, die Kinder, Streitereien, den glücklichen Luka und den unglücklichen, eine kleine Liebesgeschichte. Und die Stille. Plötzlich werden die Geräusche ausgeblendet, und wir hören – ein wattiges Nichts.

Georgien 2016, Buch & Regie: Mariam Chachia, 80 Min., georgisch OmengU



Mi. 19.9. / 18:00

The Things

Im Mittelpunkt stehen die einzigen und letzten Dinge, die georgische Binnenflüchtlinge während des Russisch-Georgischen Krieges 2008 auf der Flucht aus ihren Heimatdörfern in Südossetien retten konnten. Im Zuge des nur wenige Tage dauernden Krieges verlor Georgien endgültig die Kontrolle über die Schwarzmeer-Region. In dem Konflikt der beiden Länder geht es um die Gebiete Südossetien und Abchasien. Das an Russland grenzende Südossetien hatte sich 1990 faktisch von Georgien abgespalten. Nach Jahren einer brüchigen Waffenruhe marschierten im August 2008 georgische Truppen ein. Unmittelbar darauf begann eine russische Offensive. Die Georgier mussten sich zurückziehen. Die weitgehend von Russland abhängigen Gebiete erklärten ihre Souveränität. Moskau erkennt Südossetien und Abchasien als Staaten an, die EU und USA betrachten sie als zu  Georgien gehörend. Nino Goguas Film enthüllt über die Beziehungen der Besitzer zu ihren Dingen den Alltag der Flüchtlinge: „The Things“ erzählt die universelle Geschichte einer Fluchterfahrung.

Georgien 2016, Regie: Nino Gogua, 64 Min., georgisch OmengU



Do. 20.9. / 18:00

Vor dem Frühling

Nach dem Zerfall der Sowjetunion wurde Swiad Gamsachurdia (1939-1993) der erste Präsident Georgiens. Im Mai 1991 wurde er mit 86 Prozent der Stimmen gewählt. Wie viele der neuen Wortführer in den gerade unabhängig gewordenen Sowjetrepubliken zeichnete er sich durch eine stramm nationalistische Gesinnung aus. Rasch mutierte Gamsachurdia zum autoritär regierenden Diktator. Damit verspielte er sich schnell jeden politischen Kredit. Im Dezember 1991 putschte die Nationalgarde; bei Straßenkämpfen in der Hauptstadt Tiflis starben rund 2000 Menschen und Gamsachurdia flüchtet ins Ausland. Doch Im September 1993 kehrte Gamsachurdia nach Westgeorgien zurück. Die Regierung in Tiflis schlug die Rebellion mit russischen Truppen nieder und der gestürzte Ex-Präsident flüchtete in eine unwegsame Bergregion, wo er am 31. Dezember einen mysteriösen Tod starb – die genauen Umstände sind bis heute nicht aufgeklärt. In dieser aussichtslosen Lage setzt „Vor dem Frühling" ein. Regisseur George Ovashvili (Die Maisinsel) möchte nach eigenen Worten ergründen, was mit Gamsachurdia in seinen letzten Lebenswochen im Kaukasus geschah.

„2014 hatte der georgische Regisseur in seiner weithin gepriesenen Filmparabel „Die Maisinsel“ den Seelenzustand seines Landes in überwältigenden Berg- und Wasserlandschaften inszeniert. Auch in „Vor dem Frühling“ sind Wetter und Wind, ferne Schneegipfel und Bachläufe zentrale Agenten, die der italienische Kamera-Veteran Enrico Lucidi in an der osteuropäischen Filmkunst geschulten Bildern festhält. Sie erzählen von den Schönheiten und Zerstörungen eines durch Bürgerkriege gebeutelten Landes.“ (Silvia Hallensleben in DER TAGESSPIEGEL, März 2018)

Khibula - Georgien/ Deutschland/ Frankreich 2017, Regie: George Ovashvili, mit Hossein Mahjoob, Kishvard Manvelishvili, Nodar Dzidziguri, 99 Min., OmU



Sa. 22.9. bis Di. 25.9. / 20:00

 

Alle Filme werden mit englischen Untertiteln gezeigt.