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Obdachlosigkeit ist oft von Unverständnis, Klischees und Unwissen überschattet. Ein Text darüber, wie Leben ohne Obdach aussieht, warum es Obdachlosigkeit gibt und was wir als Gesellschaft tun können, um die Situation zu verbessern.

Ein Teaserbild zum Thema Obdachlosigkeit. Es zeigt ein Schlafplatz in einem Unterstand in einer Kaufhausumgebung.

Warum werden Menschen obdachlos?

Die Europäische Kommission nennt unterschiedliche Faktoren, die für Obdachlosigkeit verantwortlich sein können.

  • Als eine der Ursachen werden dabei Armut und Arbeitslosigkeit genannt
  • Auch Migrant:innen sind häufiger von Obdachlosigkeit betroffen. Vorurteile und rassistische Ansichten aber auch der als kompliziert empfundene Weg durch die Behörden machen es vielen Menschen dieser Gruppe schwer sich im neuen Land zurechtzufinden und eine Arbeit aufzunehmen. Die Folge davon ist nicht nur Arbeitslosigkeit und mangelnde Betreuung, sondern im schlimmsten Fall auch Obdachlosigkeit
  • Ältere Menschen und Menschen mit gesundheitlichen Problemen sind von Obdachlosigkeit bedroht. Arbeiten ist in diesen Situationen oft nicht mehr möglich und das Geld für eine Wohnung fehlt. Auch wachsende Altersarmut ist für Obdachlosigkeit verantwortlich
  • Weitere häufige Gründe sind die Trennung vom Lebenspartner oder dessen Tod. Auch familiäre Zerwürfnisse oder unvorhergesehene Notlagen wie zum Beispiel ein Wohnungsbrand können in die Obdachlosigkeit führen
  • Mit den bereits genannten Ursachen geht der Faktor bezahlbarer Wohnraum einher. Da Mietpreise in den letzten Jahren regelrecht explodiert sind, können sich Betroffene keine Wohnung leisten und landen durch Kündigung und Zwangsräumung auf der Straße
  • Als letzten, aber nicht zu vernachlässigenden Punkt, nennt die Europäische Kommission die mangelnde Betreuung von Personen, die zum Beispiel aus Gefängnissen, Krankenhäusern oder Pflegeheimen entlassen wurden. Fehlt die Betreuung, können sich Menschen in der neuen Umgebung nicht zurechtfinden. Die Folge davon ist oftmals Arbeits- und Obdachlosigkeit

Ausgangssituation

Obdachlosigkeit ist die bitterste Form der Armut in Deutschland.

  • In Bremen leben geschätzt ca. 600 - 800 Menschen auf der Straße
  • Offiziell liegt der Frauenanteil bei ca. 25%
  • Nicht wirklich bekannt ist der Anteil der Migrant:innen
  • Die Dunkelziffer ist deutlich höher. Gerade bei Frauen gibt es einen hohen Anteil von „versteckter“ Obdachlosigkeit

Obdachlosigkeit in Bremen - Perspektive eines Betroffenen - Heinrich Böll-Stiftung Bremen

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Ein Tagesablauf - Aufstehen und Urlaub?

Vorurteile über Menschen, die auf der Straße leben, gibt es so manche. Gewisse Aussagen legen sogar nahe, dass man Obdachlosigkeit mit einem Abenteuerurlaub verwechselt.

Um auf der Straße zu überleben, muss man jedoch klar strukturiert sein: Man braucht einen geschützten Platz zum schlafen. Wie komme ich an Geld? Welche Toiletten sind nutzbar, wo kann ich duschen und Wäsche waschen? Was esse ich und wie vermeide ich Hausverbote?

Viele Menschen auf der Straße sind nicht im Sozialsystem. Das bedeutet: kein regelmäßiges Einkommen, keine oder ruhende Krankenversicherung. Dazu kommen unbehandelte psychische Erkrankungen, unter Umständen Alkohol– und/oder Drogenabhängigkeit, Elendsprostitution und Ausbeutung.

Leben

Obdachlosigkeit bedeutet, jeden Schutz verloren zu haben. Das gesamte Leben findet in der Öffentlichkeit statt. Erniedrigungen sind an der Tagesordnung:

  • „Geh arbeiten“ — “die saufen doch nur” — “arbeitsscheues Gesindel
  • „Kauf dir davon aber keinen Alkohol!
  • „Die klauen doch“ — „Alle sind dreckig

Ein Zurück ist fast unmöglich. Ein Selbstwert existiert nicht!

Behörden

Ein Teaserbild zum Thema Obdachlosigkeit. Es zeigt ein Schlafplatz mit Zelt an einer Laderampe.

  • Papiere, z. B. Personalausweis, Unterlagen für das Jobcenter oder Sozialamt sind schwer zu beschaffen und kosten Geld (in Bremen ist der Personalausweis für Obdachlose seit 2022 gebührenbefreit). Der Identitätsnachweis kann sehr aufwendig sein und die benötigten Papiere (Geburtsurkunde, Abmeldebescheinigung) sind für Menschen auf der Straße schwer zu beschaffen. Folgen sind kein Bezug von “Bürgergeld”, kein Zugang zu Notunterkünften und oft keine oder eine „ruhende“ Krankenversicherung
  • gezielte Vertreibungspolitik durch Polizei, Ordnungsamt und private Sicherheitsdienste
  • Dadurch ist es unmöglich zur Ruhe zu kommen um grundlegende Dinge zu ordnen (Papiere, Entgiftung, Therapien, Bewerbungen und Wohnungssuche)

Vertreibungen aus dem öffentlichen Raum führen nur zur Problemverlagerung. Nach relativ kurzer Zeit tauchen verdrängte Menschen an der gleichen Stelle wieder auf, an der sie vorher schon waren. Von daher kann man sagen, dass repressive Politik gegenüber Wohnungslosen gänzlich ineffizient ist, da mit hohem Aufwand Ziele nicht erreicht und Probleme nicht gelöst werden.

Gefahren

  • Gesundheitsvorsorge hat keine oder geringe Priorität
  • Im Sommer Gefahr von Dehydrierung und Lebensmittelvergiftungen
  • Bei Kälte Unterkühlungs- und Erfrierungsgefahr (ab +8° C)
  • Bedrohungen und körperliche Angriffe
  • Sexualisierte Gewalt
  • Direkte Ausbeutung und Erniedrigung

Unsichere Wohnsituation für Frauen

Frauen sind auf besondere Weise von Obdachlosigkeit bedroht. Wenn eine Beziehung zerbricht, der Partner gewalttätig ist oder die Rente nicht reicht, verlieren manche die Wohnung. Hilfsangebote können unterstützen, aber es gibt zu wenige.

Prostitution für eine Übernachtung

Couchsurfing ist ein bekanntes Phänomen bei weiblichen Wohnungslosen und ein Grund, warum von verdeckter Obdachlosigkeit die Rede ist.

Das Übernachten bei Bekannten schützt Frauen vor Übergriffen in aller Öffentlichkeit. Aber auch bei ständigem Wechsel der Wohnung können neue Abhängigkeiten entstehen.

„So lange ich weiß, dass ich zehn Freunde habe, wo ich jeweils drei Nächte schlafen kann, ist das alles in Ordnung, Wenn ich aber drei Mal die Woche abends in irgendeine Kneipe gehen muss, und darauf hoffe, dass ein Typ mich abschleppt oder so, dann wird es gefährlich. Und parierst du nicht, bist du draußen.

Ein Teaserbild zum Thema Obdachlosigkeit. In einer Parkanlage mit einem großen Denkmal ist ein Schlafsack und ein Fahrrad zusehen.

In Deutschland muss niemand obdachlos sein

Theoretisch sollte in Deutschland niemand obdachlos oder wohnungslos sein, wenn er das nicht möchte. In der internationalen Sozialcharta ist das „Recht auf Wohnen“ als Menschenrecht fest verankert. Und in Deutschland sind die Kommunen dazu verpflichtet, obdachlose Menschen kurzfristig in Notunterkünften oder sozialen Einrichtungen unterzubringen. Tatsächlich können viele Obdachlose das enge Zusammenleben schwer ertragen und scheitern an den Regeln der Unterkunft. Auch Selbstverständlichkeiten wie Besuch empfangen, das Recht auf Familie, auf Gesundheit und auf Schutz vor Gewalt sind oft nicht gewährleistet.

Um Menschen nachhaltig von der Straße zu holen, müssen genügend (bezahlbare) Wohnungen vorhanden sein. Und bei der Wohnungsbeschaffung spielt die Bürokratie eine große Rolle: Wer als obdachloser Mensch eine Wohnung anmieten möchte, muss zunächst Behördengänge und Papierkram bewältigen sowie gültige Ausweisdokumente vorweisen können. Der Vermieter hat eine große Auswahl unter den potenziellen Mieter:innen und entscheidet sich oft gegen den obdachlosen Bewerber. Wenn dann doch eine Wohnung gefunden wird erleben Betroffene oft Einsamkeit. Die Probleme die in die Obdachlosigkeit geführt haben sind wieder präsent. Das kann zum Verlassen der neuen Wohnung führen.

Hilfe(n)

Was Obdachlosigkeit beendet ist eine Wohnung!

Housing First Bremen

0421/98 99 031-0

info@housing-first-bremen.de

LieLa e.V.

Der LieLa e.V. setzt sich für einen Schutzraum in Bremen ein, um wohnungs- und obdachlose Frauen in ihren alltäglichen Herausforderungen zu unterstützen

kontakt@liela.org

Viele Hilfsangebote finden sich unter:

https://www.sozialstadtplan-bremen.de