Wir reden über Dekolonisierung, wir reden über Kollaboration – aber was heißt das eigentlich konkret? Wie kann das gehen? Der Versuch einer kritischen Einordnung dekolonialer Prozesse im Museum anhand eines Praxisbeispiels.
Es ist das Frühjahr 2020. Im Deutschen Technikmuseum findet sich eine Gruppe von Kunst- und Kulturschaffenden mit Menschen aus den Bereichen des politischen Aktivismus und der politischen Bildung zusammen, um eine Installation zum brandenburgisch-preußischen Versklavungshandel zu bearbeiten. Diese Installation steht bereits seit vielen Jahren in der Kritik. Insbesondere von Schwarzen Aktivist*innen wird ihr Rassismus-reproduzierender Charakter problematisiert. Nun macht es sich eine Gruppe aus Museumsmitarbeiter*innen, Künstler*innen und Akteur*innen des Verbundprojekts Dekoloniale - Erinnerungskultur in der Stadt zur Aufgabe, gemeinsam das Thema Kolonialismus im Deutschen Technikmuseum anhand dieser vielfach kritisierten Installation aufzugreifen.
Dieser Versuch einer Dekolonisierung innerhalb einer Institution in Zusammenarbeit mit externen Akteur*innen weckt mein Interesse. Ich begleite das Projekt im Rahmen einer ethnografischen Forschung mit dem Ziel einer kritischen Analyse und Kontextualisierung der Zusammenarbeit: Was können wir aus den Erfahrungen in der Praxis lernen? Was passiert konkret, wenn unterschiedliche Akteur*innen aus Kunst, Kultur, Bildung, Wissenschaft und Aktivismus zusammentreffen und in einen Austausch gehen? Welches Potential haben Kollaborationen im Kontext der Dekolonisierung im Museum und was muss beachtet werden, um dieses Potential auszuschöpfen? Welche sensiblen Themen und Problematiken tauchen hierbei auf, welche Widerstände treten in Erscheinung, welche Rolle spielen Machthierarchien und wie kann all diesen begegnet werden?
Was Dekolonisierungsprozesse mit kollaborativen Arbeitsweisen zu tun haben
Das Deutsche Technikmuseum reagiert mit dem Projekt sowohl auf eine explizite Kritik an der eigenen Museumspraxis als auch auf eine gesellschaftliche Debatte rund um die Dekolonisierung und Öffnung von Kulturinstitutionen. Dass es sich hierbei um wiederkehrende Aushandlungsprozesse handelt, lässt sich im Beitrag von Bénédicte Savoy in dieser Reihe nachvollziehen. Der steigende Druck, in den letzten Jahren insbesondere durch zivilgesellschaftliche Initiativen aufgebaut, konfrontiert auch das Deutsche Technikmuseum mit der eigenen kolonialen Verstrickung. Partizipative und interaktive Ansätze, die das Publikum stärker einbinden, werden hier schon länger erprobt. Nun kommt die Frage der Dekolonisierung hinzu. Beide Aspekte, Partizipation und Dekolonisierung, verschränken sich miteinander und es entsteht ein Projekt mit kollaborativem Ansatz.
Der folgende Ausschnitt aus einem Interview mit der im Projekt involvierten Künstlerin Monilola Ilupeju verdeutlicht diese Verschränkung.
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Open external content on original siteDie Verwobenheit von Prozessen der Dekolonisierung mit partizipativen, bzw. kollaborativen Arbeitsweisen geschieht nicht zufällig, sondern aus einer dekolonialen Intention. Diese stellt die singuläre Geschichte und die Vorstellung einer neutralen Wissensproduktion, wie sie jahrhundertelang durch weiße Europäer*innen geformt wurde, gemeinsam und dialogisch in Frage. Zentral ist dabei die Beteiligung von bisher unsichtbar gemachten und ignorierten Stimmen derjenigen, die bis heute rassistisch diskriminiert werden. Innerhalb dekolonialer und kollaborativer Prozesse können Räume der Aushandlung und dabei Momente der Uneindeutigkeit, Pluralität und Sichtbarmachung von bisher Unsichtbarem entstehen. Kollaboration stellt eine besondere Form der Partizipation und Interaktion dar. Sie birgt das Potential, die Beteiligten auf gleicher Augenhöhe, von Beginn eines Projektes an in die Prozesse einzubinden und Entscheidungen gemeinsam zu treffen. Dabei begeben sich die Akteur*innen im besten Fall in gemeinsame und nachhaltige Lern- und Verlernprozesse und nehmen gegenseitigen Einfluss auf ihre Arbeit.1
Anne Fäser, als Kuratorin für Outreach am Projekt beteiligt, beschreibt die Konsequenzen für die Museumsarbeit wie folgt:
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Was gemeinschaftliche Ver-/Lernprozesse mit leeren Räumen zu tun haben
Ziel der Kollaboration im Deutschen Technikmuseum wird es also zunächst, im Rahmen einer künstlerischen Performance die bisherige Installation abzubauen. So soll Raum für Neues geschaffen werden, für Austausch, für Fragen, für Kritik, für Schwarze und widerständige Perspektiven. Die Frage danach, was diese Leerstelle, die durch den Abbau entsteht, konkret füllen wird, ist Teil eines Prozesses mit offenem Ende. Es wird hierauf keine schnellen Antworten geben. Aber das ist auch gar nicht die Idee. Es scheint vielleicht unzufriedenstellend, unsicher, unkonkret, aber was die Projektgruppe verfolgt, ist genau dieser Ansatz eines Möglichkeits- und Kontaktraumes innerhalb der Museumsstruktur. Insofern erfolgt hier bewusst ein Bruch mit gängigen Logiken der Museumsarbeit: Output als zentrales Element wird irritiert. Dabei geht es sowohl um Fragen des Inhalts als auch der Erarbeitungsweise. Christian Kopp von Berlin Postkolonial, Teil des Verbundprojekts Dekoloniale, erläutert diesen Ansatz im Interview:
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Open external content on original siteDem liegt die Annahme zugrunde, dass die Gestaltung von Ausstellungen, von Bildungs- und Vermittlungsprogrammen, das Schreiben von Texten mit Hintergrundinformationen sowie die ausgestellten Objekte selbst nicht neutral sind, sondern insbesondere im kolonialen Kontext Fremdrepräsentation und Gewalt implizieren und reproduzieren. Sie bestehen innerhalb einer hierarchischen Ordnung, die sich im Museum sowie gesamtgesellschaftlich etabliert und verfestigt hat. Innerhalb dieser Ordnung erlangen bestimmte Perspektiven Bedeutung und Legitimation und andere, marginalisierte Perspektiven bleiben unsichtbar. Die dekoloniale und kollaborative Arbeitsweise stellt diese Ordnung sowie das Bild einer vermeintlich neutralen Wissensvermittlung zu Kolonialismus und seinen Folgen in Frage.2
Innerhalb des Projektes und meiner begleitenden Forschungsarbeit entsteht ein dichtes Netz an Erfahrungen und Wissensbeständen, das ich zugänglich und sichtbar machen möchte. Insbesondere für Akteur*innen aus Kultur, Kunst und Bildung kann dies im Hinblick auf eigene Erfahrungen mit oder Überlegungen zu kollaborativen und/oder dekolonialen Prozessen von Interesse sein. Ich greife die in der Kollaboration erlebten Ansätze eines Möglichkeits- und Kontaktraums auf und so entsteht eine Mindmap im Zwischenstand, die immer weiterbearbeitet werden kann und soll. Sie macht die Aushandlungsprozesse hinter der Leerstelle im Deutschen Technikmuseum sichtbar und ist gleichzeitig selbst Teil dieser Kontaktzone, in der um das Erbe von Rassismus und Kolonialismus sowie einen Bruch hiermit gerungen wird.
Mindmap online unter www.kollaborationdekolonial.de
Fußnoten
1 Siehe hierzu auch Bayer, Natalie / Kazeem-Kamiński, Belinda / Sternfeld, Nora (2017): Wo ist hier die Contact-Zone?! Eine Konversation, in: dies. (Hg.): Kuratieren als antirassistische Praxis. Berlin: De Gruyter. S.23-47.
2 Siehe hierzu auch Broden, Anne/ Mecheril, Paul (Hg.) (2007): Re-Präsentationen. Dynamiken der Migrationsgesellschaft. Düsseldorf: Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit in NRW (IDA-NRW).