Die Frau in der DDR - Suche nach einem weiblichen Lebensentwurf

Filmanalysen

Die vollständige Gleichberechtigung: Während davon in der BRD noch keine Rede war, wurde sie in der DDR als vollzogen proklamiert. Was hat das mit den Frauen gemacht und vor allem - was haben die Frauen daraus gemacht?

Ein Kinosaal mit roten Sitzen, der im halbdunkeln liegt.

Achtung – Spoileralert! Eine Frau auf der Leinwand, sie gibt ihrer Tochter einen letzten Schubs auf dem viel zu großen Fahrrad, die ganz selbstständig und mit wehendem Haar ihre Runden um den Brunnen auf dem Marktplatz dreht. Susanne, die Protagonistin aus Evelyn Schmidts Spielfilm DAS FAHRRAD (1981) hat im Laufe des Films ihren Job gekündigt, sich verliebt, sich wieder getrennt und dabei vor allem eins: ihren eigenen Weg gesucht, um ihr Leben und das Leben ihrer Tochter zu gestalten.

Der Fokus der dreiteiligen Filmreihe „Die Frau in der DDR“ lag auf dem weiblichen Geschlecht in der deutschen demokratischen Republik und ihrer Darstellung im Film. Denn was bedeutete es für eine Gesellschaft im zwanzigsten Jahrhundert, wenn die Gleichberechtigung der Frau gewünscht und staatlich gefordert ist? Welche Wege finden und gehen Frauen, um ihren eigenen Lebensentwurf zu gestalten?

Hintergrund

Am 50. Internationalen Weltfrauentag 1960 stellte Walter Ulbricht fest, dass „genau entsprechend dem Programm, das wir im Juni 1945 verkündeten, die Gleichberechtigung der Frau“ verwirklicht wurde: Die Gleichberechtigung der Geschlechter wurde in der DDR 1949 in der Verfassung als gesetztes Ziel festgeschrieben und als Errungenschaft gefeiert. Für die Frauen bedeutete das vor allem, dass ihnen ermöglicht wurde, einer Vollbeschäftigung nachzugehen. Sie erhielten staatliche Unterstützung in der Kinderbetreuung und wurden im Arbeitsleben eingegliedert.

Die Rolle der Frau in der Politik und damit das Mitentscheidungsrecht der weiblichen Bevölkerung blieb gering.

Große geschlechterspezifische Unterschiede blieben bestehen, die vor allem in den tradierten Geschlechterrollen im Privaten und der politischen Teilhabe der weiblichen DDR-Bevölkerung sichtbar wurden (Budde 2011). Von vollumfänglicher Gleichberechtigung auf dem Arbeitsmarkt kann aufgrund von ungleicher Bezahlung, mangelnder Besetzung von Frauen in Führungspositionen und bestehenden Vorurteilen nicht gesprochen werden (Trappe 1995).

Frauen in der DDR befanden sich also im Spannungsfeld zwischen Berufstätigkeit und Dasein als Mutter und Hausfrau – in beiden Rollen wurden von gesellschaftlicher und staatlicher Seite hohe Erwartungen an sie gestellt (Friedrich und Griese 1991), die nur zum Teil angemessen wertgeschätzt wurden. Frauen gingen ganztags zur Arbeit: die DDR wurde damals aufgrund ihrer hohen Vollbeschäftigung von Frauen als „weiblichste Gesellschaft Europas“ (Niethammer 2009) bezeichnet. Die Vergemeinschaftung von Hausarbeit und familiären Betreuung setzte nach und nach ein und entlastete die Frauen teilweise (Niethammer 2009). Nichtsdestotrotz blieb die Rolle der Frau in der Politik und damit das Mitentscheidungsrecht der weiblichen Bevölkerung gering. Die Zielsetzung der Gleichstellung der Geschlechter kann nicht als gesamtgesellschaftlicher Prozess angesehen werden, da es vielmehr darum ging, dass Frauen sich in einigen Bereichen dem männlichen Idealen anzugleichen hatten, während der männliche Teil der Gesellschaft kaum von Veränderungen betroffen war.

Das weiblich-proletarische Tüchtigkeitsideal der DDR

Während diese Situation für Frauen eine große Belastung darstellte, fand gleichzeitig eine Emanzipierung der Frau in der DDR statt. DDR-Bürgerinnen erlebten durch den Alltag zwischen Beruf und Familie einen Zugewinn an Selbstbeständigkeit und schafften es, sich im Privaten zu emanzipieren (Mix 2007: 278). Dorothee Wierling thematisiert in ihrem Text „Das weiblich-proletarische Tüchtigkeitsideal der DDR“ die These des Machtzuwachses, der aus Bewährungsfällen entstehen kann. Situationen, in denen immer wieder bestimmte Dinge geleistet werden müssen, können durch Überwindung von Schwierigkeiten das eigene Potential an Stärke, Mut und Tüchtigkeit bewusst machen. Wierling spricht in diesem Zusammenhang von „informeller Macht“ (Wierling 1999: 835) oder auch „sozialer Macht innerhalb der Familie“ (Wierling 1999: 836), die die Frauen in der DDR durch die hohe Erwartungshaltung, die an sie gerichtet wurde und der sie sich stellten, gewinnen konnten.

Filmreihe mit der Heinrich Böll-Stiftung Bremen

Und genau hier setzt die Filmreihe an, die im Dezember, Januar und Februar im Kommunalkino City 46 stattfand. Sie wurde von Lea Lünenborg initiiert und von der Heinrich Böll-Stiftung Bremen unterstützt. In drei unterschiedlichen Filmen aus und über die DDR warfen wir einen Blick zurück und wurden konfrontiert mit der immer noch gültigen Suche nach einem gleichberechtigten weiblichen Lebensentwurf in ungleichberechtigten Zuständen. Wir begegneten Frauen, die sich dieser Aufgabe selbstverständlich stellen und entdeckten diverse Räume innerhalb der DDR, die in der heutigen Geschichtsschreibung über das geteilte Deutschland eine zu seltene Rolle spielen.

Zwei Frauen stehen in einer Kunstgalerie vor einer großen weißen Wand, and er drei Bilder in gelbtönen hängen.
Die Protagonistinnen des Films „Im Stillen laut“: Christine Müller-Stoch und Erika Stürmer-Alex. Bild: Salzgeber

Gezeigt wurden zwischen Dezember 2021 und Februar 2022 drei Filme, jeweils mit anschließender Diskussion im Kommunalkino City46:

  • Das Fahrrad von Evelyn Schmidt aus dem Jahr 1981
  • Winter Adé von Helke Misselwitz aus dem Jahr 1988
  • Im Stillen laut von Therese Koppe aus dem Jahr 2019

In DAS FAHRRAD von Evelyn Schmidt aus dem Jahr 1981, der eingangs erwähnte Film, erleben wir ein ungewöhnliches und unerwünschtes Frauenbild und begleiten die alleinerziehende Mutter Susanne auf dem Weg zu ihrer eigenen weiblichen Freiheit. Der Film entstand 1981 unter der Regie von Evelyn Schmidt, eine der wenigen weiblichen Regisseurinnen der DDR, erreichte jedoch kein breites Publikum. Die kritische Darstellung der proklamierten Gleichberechtigung und die weiterhin schwierige Stellung der Frauen innerhalb der DDR-Gesellschaft können nur als Gründe erahnt werden, den Film nicht in den großen Kinos und nicht zu attraktiven Zeiten zu zeigen. Seinen Erfolg musste DAS FAHRRAD verlegen: Nach der Wende erlebte er im In- und Ausland eine breite Anerkennung für seinen „feminist view of socialist Germany“ (Dietze 2019: 32). Deutlich wird, dass es Evelyn Schmidt mit ihrer nahen und emotionalen Darstellung einer Protagonistin, die für ihre eigenen Träume kämpft, gelang, die sozialistische Staatsführung und die damit einhergehende prekäre Situation für die Frau in der DDR in Frage zu stellen.

Diskussion mit der Regisseurin Heike Misselwitz im City46 Kommunalkino, die Bühne von oben fotografiert.
Die Regisseurin des Films „Winter adé“: Helke Misselwitz im City 46. Bild: J. Eichwede (City46)

In ihrem Dokumentarfilm WINTER ADÉ [1] begleitet Helke Misselwitz Frauen und Mädchen verschiedener Generationen und stellt erstaunlich privat und gleichzeitig gesellschaftlich ihre Lebensgeschichte dar. Wir sind im Film auf einer Zugreise aus Zwickau durch an die Ostsee und durchqueren damit einmal das ganze Land. Dabei nimmt WINTER ADÉ sich Zeit für eine nahe Darstellung der Protagonist*innen, er äußert keine gesprochene Kritik. Was er vor allem tut, ist Raum zu geben, unbekannten Lebensentwürfen eine Stimme zu verleihen und dabei das Spannungsverhältnis zwischen der proklamierten und der realen Gesellschaft aufzuzeigen. Helke Misselwitz gilt als eine der „wichtigsten Regisseur*innen der letzten DEFA-Generation“ (Koppe 2021[2]: 15) und hat mit WINTER ADÉ einen Film gemacht, der uns heute hilft, uns an die Gesellschaftsrealität der DDR zu erinnern und gleichzeitig ein Zeitzeugnis ist für eine Aufbruchszeit, in der das Ende der DDR scheinbar greifbar nah war.

Die Regisseurin Therese Koppe steht auf der Bühne des Kinos City46 in Bremen, sie ist ca. 30 Jahre alt und spricht fröhlich ins Mikrofon.
Die Regisseurin des Films „Im Stillen laut“: Therese Koppe. Bild: J. Eichwede (City46)

Der Film IM STILLEN LAUT ist nicht während der DDR entstanden, sondern erzählt aus dem Heute von den DDR-Bürgerinnen Erika und Tine. Zwei Frauen, die im Odertal einen Kunsthof aufbauten und sich dort ihren eigenen Freiraum in der so engen DDR schafften. Über ein Jahr begleitete die Filmemacherin Therese Koppe die beiden in ihrem Umfeld und zeigt mit IM STILLEN LAUT einen Gegenentwurf zum ideologietreuen DDR-Alltag. Der Film zeigt, wie Erika und Tine sich erinnern: An eine gemeinsame Zeit umgeben von anderen Künstler*innen, an das Gefühl von Gebrauchtwerden als freie Künstlerin in der so wenig kreativen DDR. Beim Durchblättern der Stasi-Akte blicken sie fasziniert und doch bitter auf diesen grauen Teil der sozialistischen Regierung – und es wird deutlich, wie viel sie dem mit Diskussionen, Feiern, Kunst, Musik und freier Körperkultur entgegensetzen konnten. Das persönliche Portrait der beiden Frauen zeigt auf berührende Weise, wie Erika und Tine ihren Werten und sich selbst treu blieben und sich mit viel Energie, persönlichem Antrieb und Humor dem Leben stellen.

Allen drei Filmen ist gemein, dass es nicht nur darum geht, das Leben unterschiedlicher Frauen in der DDR auf der Leinwand zu zeigen, sondern auch einen Fokus auf weibliches Erzählen zu legen. Wie schaffen wir es, Geschichte nicht nur aus einem heteronormativen, männlichen Blickwinkel zu schreiben, sondern auch andere Blickwinkel zuzulassen? Wir entdecken Perspektiven, die einen ebenso großer Teil der deutschen Geschichte sind und das vorherrschende Bild einer DDR-Gesellschaft erweitern.

Ein Schwerpunkt lag bei der Filmreihe daher auch darauf, die Filme nicht als unidirektionale historische Medien zu präsentieren, sondern sie im Kommunalkino als Ort des Austausches in eine Diskussion zu rahmen. Bei der Vorführung des Films DAS FAHRRAD hielt die Kuratorin Lea Lünenborg einen Vortrag zur Darstellung der Frau im DEFA-Film der achtziger Jahre, woraus sich abschließend eine Diskussion zur Kulturpolitik und modernen Erzählweise in der DEFA entwickelte. Denn der Film von Evelyn Schmidt ist nicht nur ein Zeugnis seiner Zeit – er ist gleichzeitig der Beweis, dass in der DEFA moderne Erzählästhetik und weibliche Handschriften im Filmschaffen existierten. Helke Misselwitz und Therese Koppe waren zu den Vorführungen ihrer Filme im City 46 anwesend und sprachen von den Begegnungen mit ihren Protagonistinnen, davon, was sie mit ihren Filmen erreichen möchten und erreicht haben und beantworteten Fragen des Publikums. Alle drei Filme sind keine Filme, die dogmatische Antworten geben und einem Anspruch auf Vollständigkeit genügen wollen. Es sind Filme, die Fragen und Diskussionen aufwerfen und zulassen.

Literatur

Budde, Gunilla-Friederike (2011): Frauen der Intelligenz. Akademikerinnen in der DDR 1945 Bis 1975. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Online verfügbar unter http://gbv.eblib.com/patron/FullRecord.aspx?p=849827.

Dietze, Gabriele (2019): Sich ein eigenes Bild machen. Selbstbestimmtheit in Filmen von Frauen in den 1960er- bis 1990er-Jahren. In: Karin Herbst-Meßlinger und Rainer Rother (Hg.): Selbstbestimmt. Perspektiven von Filmemacherinnen. Berlin: Bertz + Fischer, S. 17–45.

Friedrich, Walter; Griese, Hartmut (Hg.) (1991): Jugend und Jugendforschung in der DDR. Gesellschaftspolitische Situationen, Sozialisation und Mentalitätsentwicklung in den achtziger Jahren. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften.

Mix, Petra (2007): Emanzipation oder die Gleichstellung der Frau in der DDR. DAS FAHR-RAD von Evelyn Schmidt. In: DEFA-Stiftung 2007 – Die imaginierte Nation, S. 247–283.

Niethammer, Lutz (1994): Erfahrungen und Strukturen. Prolegomena zu einer Geschichte der Gesellschaft der DDR. In: Hartmut Kaelble und Jürgen Kocka (Hg.): Sozialgeschichte der DDR. Stuttgart: Klett-Cotta, S. 95–118.

Schiel, Betty; Zoller, Maxa (Hg. (2021): Was wir filmten. Filme von ostdeutschen Regisseurinnen nach 1990. Berlin: Bertz und Fischer.

Trappe, Heike (1995): Emanzipation oder Zwang? Frauen in der DDR zwischen Beruf, Fami-lie und Sozialpolitik. Berlin: De Gruyter. Online verfügbar unter http://www.degruy-ter.com/search?f_0=isbnissn&q_0=9783050071510&searchT….

Wierling, Dorothee (1999): Das weiblich-proletarische Tüchtigkeitsideal der DDR. In: Peter Hübner und Klaus Tenfelde (Hg.): Arbeiter in der SBZ - DDR. 1. Aufl. Essen: Klartext-Verl. (Veröffentlichungen des Instituts zur Erforschung der Europäischen Arbeiterbewegung), S. 831–848.


[1] Der Film WINTER ADÉ ist kostenlos anzuschauen auf der Internetseite der Bundeszentrale für politische Bildung unter folgendem Link: https://www.bpb.de/lernen/filmbildung/299309/winter-ade/

[2] Betty Schiel und Maxi Zoller, Kuratorinnen beim Internationalen Frauen* Film Fest Dortmund + Köln haben den Sammelband „Was wir filmten. Filme von ostdeutschen Regisseurinnen nach 1990“ (2021. Bertz und Fischer, Berlin) herausgegeben, in dem Therese Koppe einen Text über Helke Misselwitz und ihre Filme nach der Wendezeit veröffentlichte.