Klaus Prietzel ist Vorsitzender des BUND Bremen sowie Betriebsleiter des Recyclinghofs in Bremen-Findorff. Er engagiert sich seit vielen Jahren für Klimaschutz und Energiewende in Bremen.
denkhausbremen: Herr Prietzel, gerade wurde für Bremen die Klimanotlage ausgerufen und eine Enquete-Kommission soll parteiübergreifend eine Klimaschutz-Strategie ausarbeiten. Was halten Sie davon?
Klaus Prietzel: Dass die Klimakrise weit oben auf der politischen Agenda steht, finden wir ganz richtig angesichts der Dringlichkeit des Themas. Es besteht ein großer Handlungsbedarf und wir sehen die Notwendigkeit, in den nächsten zehn Jahren einen Quantensprung in der Bremischen Klimapolitik zu schaffen. Dabei geht es vor allem um die Praxis. Den schönen Worten der neuen Landesregierung sind bisher noch keine Taten gefolgt – und auch nichts, das erkennen ließe, wie solche Taten aus Sicht der politischen Akteure aussehen könnten.
Bei den praktischen Maßnahmen sehen wir daher ein riesiges Defizit und betrachten auch die aktuelle Diskussion mit zwiespältigen Gefühlen. Denn die Einrichtung einer Enquete-Kommission spart zunächst keine einzige Tonne CO2 ein. Schlimmstenfalls diskutieren wir einfach ein weiteres Jahr lang und verlieren wertvolle Zeit, bis wir endlich zur Tat schreiten. Wir müssten eigentlich jetzt sofort loslegen.
Welche konkreten Schritte kann ein Stadtstaat wie Bremen zur Lösung der Klimakrise ergreifen, was müsste die Politik aus Ihrer Sicht nun schnell angehen?
Der Kohleausstieg in Bremen muss schnell vollzogen werden. Das obliegt natürlich den Eigentümern der drei Bremischen Kohlekraftwerke – der SWB und dem US-amerikanischen Investor Riverstone – kann aber von der Landesregierung mit geeigneten Maßnahmen unterstützt werden.
Parallel dazu müssen wir in Bremen massiv die Erneuerbaren ausbauen. Besonders bei der Solarenergie sehen wir ein großes Potenzial. Realistisch können wir bis 2030 einen Anteil von 25 % des Bremischen Stromverbrauchs (die Stahlwerke ausgenommen) durch Photovoltaik-Anlagen bestreiten – vorausgesetzt, der politische Wille ist tatsächlich vorhanden. Bremen könnte zur „Solar City“ werden. Das würde heißen, dass die Landesregierung sich um ihre öffentlichen Gebäude kümmert und so viele wie möglich mit PV-Anlagen ausrüstet. Auch in Gewerbe-, Wohn- und Neubaugebieten müssten die vorhandenen Potenziale maximal genutzt werden.
Woran hapert es denn bislang?
Das hat zum einen natürlich finanzielle Gründe, zum anderen mangelt es an Personal. Zuständig für die öffentlichen Gebäude ist ja Immobilien Bremen, die aber keine personellen Kapazitäten und kaum Finanzmittel für Klimaschutz haben. Deswegen fordern wir, dass in den laufenden Haushaltsverhandlungen dringend Personalkapazitäten für den Bereich Klimaschutz in Bremen geschaffen werden. Wir schlagen ein Äquivalent von 100 zusätzlichen Vollzeitstellen vor, in denen Menschen explizit und proaktiv für Klimaschutz und Energiewende im Land Bremen arbeiten. Mit den bestehenden Kapazitäten werden wir das nicht schaffen. Um die Querschnittsaufgabe Klimaschutz zu bewältigen müsste dieses Ziel auch in jedem Ressort des Senats personell in der Leitungsebene vertreten sein.
Nun befindet sich Bremen außer in der Klimanotlage auch in einer Haushaltsnotlage…
Trotzdem kann und muss sich Bremen deutlich mehr Klimaschutz leisten. Um in den nächsten zehn Jahren wirklich stark voranzukommen fordern wir als BUND eine Finanzierung in Höhe von 100 Millionen Euro pro Jahr. Das ist eine Größenordnung, die im Rahmen des Bremischen Haushalts grundsätzlich leistbar wäre. Natürlich bleibt das in Zeiten der Schuldenbremse am Ende eine Frage der Prioritäten. Im Moment beobachten wir nur, dass zwar für die Themen innere Sicherheit und Bildung eine ganze Menge zusätzliches Personal und Finanzmittel bereitgestellt werden, was ja nicht verkehrt ist. Für den Klimaschutz aber nicht, und das finden wir katastrophal. Für dieses drängende Thema müsste im Haushalt viel stärker als aktuell gestritten werden.
In welchen Bereichen brauchen wir noch Veränderungen, abgesehen von der Energiewende?
Wir sehen dringenden Handlungsbedarf im Bereich Verkehr, wo der Autoverkehr Hauptverursacher von CO2-Emissionen ist. Um in einer Großstadt wie Bremen mit einem gut ausgebauten Netz anderer Verkehrsmittel mobil zu sein, braucht man einfach kein eigenes Auto. Wir halten deshalb eine substanzielle Reduzierung des Autoverkehrs auf maximal etwa 20 % der heutigen Autos für dringend geboten und auch möglich. Die Bremische Politik hat hier gute Möglichkeiten umzusteuern, mit einem starken Ausbau des Radverkehrs und des ÖPNV.
Dabei muss der Radverkehr eine zentrale Rolle spielen. Wir können den ÖPNV zwar noch weiter ausbauen und die Taktung erhöhen, aber Busse und Bahnen sind in den Hauptverkehrszeiten meist schon zu voll. Das System kommt an seine Grenzen, wenn es nicht durch Radverkehr deutlich entlastet wird. Das Fahrrad ist eindeutig die flexibelste und meist auch schnellste Option, um in der Stadt unterwegs zu sein – außerdem ist sie die kostengünstigste Alternative zum Auto. Für Pendler*innen wären attraktive durchgehende Premiumrouten wichtig, auf denen sie mit dem Rad, gerne auch mit Elektrounterstützung, schnell und ohne große Hindernisse in die Stadt fahren können. Damit geht es viel zu langsam vorwärts, auch weil einfach kein Planungspersonal dafür eingestellt wurde.
Wie kommen wir dahin, dass der Autoverkehr so massiv zurückgeht?
Im Moment ist das Auto für viele Menschen die bequemste Art der Fortbewegung. Wir müssen das Autofahren im Verhältnis weniger attraktiv und die Alternativen deutlich attraktiver machen, wenn wir vorankommen wollen. Dazu müssen wir den enormen Anteil an Verkehrsraum reduzieren, der von Autos in Anspruch genommen wird, und ihn Radfahrer*innen, Fußgänger*innen und dem öffentlichen Verkehr zur Verfügung stellen. Wesentlich ist die Verminderung von Parkraum. Autos stehen ja 95 % der Zeit nur nutzlos rum und blockieren Flächen – oft genug mit regelwidrigem Parken auf Gehwegen und an Kreuzungen, das aber nicht geahndet wird.
Dabei findet man in den meisten Stadtquartieren noch viel zu leicht einen Parkplatz nah an der eigenen Haustür, dem Einkaufszentrum oder der Arbeitsstelle. Gleichzeitig wird es ÖPNV-Nutzer*innen zugemutet, bis zu 500 Meter zur nächsten Haltestelle zu laufen. Wir könnten das Netz der ÖPNV-Haltestellen verdichten und gerade in den Abendstunden flexiblere Angebote mit kleineren, eventuell auch autonomen Fahrzeugen bereitstellen. Auch einen ticketlosen ÖPNV wie bei der Initiative „Einfach Einsteigen“ finden wir sehr geeignet, um mehr Menschen vom Auto in Busse und Bahnen zu bewegen, wenn dann der öffentliche Nahverkehr als öffentliche Aufgabe über eine allgemeine Umlage finanziert wird.
Schwierig wird es nur, wenn sich einkommensschwache Bremer*innen eine pauschale Umlage kaum leisten können…
Genau wie beim Strompreis müssen soziale Probleme natürlich sozialpolitisch, z.B. durch Vergünstigungen, abgefedert werden. Merkwürdig ist nur, dass oft mit dem sozialen Argument von eher besserverdienenden Akteuren gleich die ganze Diskussion um Klimaschutz und ein anderes Verkehrssystem gekippt wird. Auch die CO2-Abgabe wurde etwa mit Blick auf die Einkommensschwachen viel zu niedrig angesetzt. Davon profitieren aber vor allem die reichen Energiegroßverbraucher mit großen Autos, großen Häusern und ausgiebigen Fernreisen.
Und die größte Ungerechtigkeit besteht ja auch beim Klima global zwischen arm und reich: Diejenigen, die am wenigsten zur Klimakrise beitragen, z.B. in vielen afrikanischen Ländern, leiden besonders stark unter dem Klimawandel, unter verstärkten Hitze- und Dürreperioden, Wirbelstürmen und Überflutungen. Während wir uns politisch darüber streiten, dass SUV-fahren, Urlaubsflüge und Fleisch doch bitte sozialverträglich billig bleiben sollten.
Natürlich darf der Verweis auf soziale Ungleichheiten nicht dazu führen, dass wir keine ambitionierte Klimapolitik verfolgen.
Die zunehmende soziale Spaltung in unserem Land ist ein riesiges Problem, keine Frage. Trotzdem sollte es nicht Ziel der Einkommens- und Sozialpolitik sein, dass die Ärmeren die Verschwendung 1:1 nachmachen, die die Reichen ihnen vormachen.
Was wäre die Konsequenz – die Reichen dürfen weitermachen, die Armen aber nicht nachziehen?
Eben gerade nicht. Insgesamt müssten viel mehr Dinge zum Luxus werden. Wir wollen den Konsument*innen klimaschädigendes Verhalten ja erschweren, um im Effekt dann deutlich weniger Emissionen zu erreichen. Autofahren muss z.B. wieder viel mehr zum Luxus werden, insbesondere mit ressourcenfressenden Fahrzeugen. Das machen uns die skandinavischen Länder vor, wo Autofahren doppelt so teuer ist, durch eine hohe Luxussteuer beim Kauf. Entsprechend fahren dort auch viel weniger Leute Auto.
Ganz gerecht wären solche finanziellen Steuerungsinstrumente natürlich nur, wenn sie von der Einkommenshöhe abhängig wären. Das wird man im Kapitalismus nie ganz schaffen, aber die Schere zwischen Arm und Reich sollte durch eine starke Klimapolitik kleiner und nicht größer werden.
Die Bremische Handelskammer hat erst neulich die Pläne der Landesregierung für eine autofreie Innenstadt kritisiert. Sie befürchtet, dass dem Einzelhandel die Umsätze einbrechen, wenn Verbraucher*innen nicht mehr mit dem Auto in die Innenstadt kommen.
Das zeigt, dass der sozial-ökologische Umbau unserer Gesellschaft kein Selbstläufer ist. Es gibt starke Gegenkräfte, und die Handelskammer ist eine davon, die sich einer ökologisch orientierten Stadtentwicklung entgegenstellen. Wobei nachgewiesenermaßen die Einzelhandelsumsätze in autofreien Fußgängerzonen höher sind als in Autostraßen. Viele Betriebe im Einzelhandel und der Gastronomie sind da im Denken schon weiter.
Fallen Ihnen weitere wichtige Maßnahmen ein, damit Bremen das Zeitalter fossiler Rohstoffe hinter sich lässt?
Entscheidend für das Gelingen der Energie- und Klimawende ist letztlich eine ernsthafte Politik für Suffizienz. Was ist ausreichend, damit möglichst viele Menschen gut leben können? Das gilt beispielsweise auch im Bereich der Stadtentwicklung und des Wohnungsbaus. Seit vielen Jahren steigt die Wohnfläche pro Person stetig an, sodass der Verbrauch trotz der verbesserten Effizienz von Neubauten nicht sinkt. Um den Landschaftsverbrauch für neue Häuser und Gewerbeflächen zu stoppen brauchen wir ein Flächenmoratorium: Es ist genug mit dem Neubau. Allein die Betonherstellung erzeugt global fast 10 % der CO2-Emissionen.
Insgesamt muss die Menge der konsumierten Waren deutlich abnehmen, wenn wir wirklich alle zusammen nachhaltig auf diesem Planeten leben wollen. Dazu müssen wir das System so umbauen, dass wir letztlich mit weniger materiellen Dingen genauso zufrieden sind.