Die Regierungsangriffe auf kritische Journalisten zeigen: Österreich bewegt sich in Riesenschritten in Richtung Ungarn und Polen.
Auf den ersten Blick könnte man glauben, da habe jemand live im TV-Studio die Nerven verloren. Als der österreichische TV-Anchorman Armin Wolf vor kurzem Harald Vilimsky, den Spitzenkandidaten der rechtspopulistischen Freiheitlichen Partei (FPÖ) im Interview damit konfrontierte, dass ein Werbesujet der freiheitlichen Parteijugend Assoziationen an das nationalsozialistische Hetzblatt „Der Stürmer“ wecke, blaffte Vilimsky den ORF-Journalisten im Studio an: „Das ist etwas, das nicht ohne Folgen bleiben kann!“
Zwar hatte Wolf nichts anderes gemacht als einen guten Job als Journalist. Aber welcher Politiker möchte in der Zeit im Bild 2, einer der wichtigsten Nachrichtensendungen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Österreich, damit konfrontiert werden, dass die eigene Parteiwerbung frappant an die Zeit des Nationalsozialismus erinnert? Und das auch noch mitten im EU-Wahlkampf.
So gesehen wäre der Auszucker des FPÖ-Spitzenkandidaten zwar einmalig in der Geschichte der österreichischen TV-Geschichte. Er wäre aber mit einem dünnen Nervenkostüm erklärbar.
ORF-Aufsichtsrat ehemaliger FPÖ-Politiker
Würden sich nicht die Indizien mehren, dass die Attacke des FPÖ-Politikers auf einen der beliebtesten Politikjournalisten des Landes gar nicht so spontan und unüberlegt erfolgte, wie es auf den ersten Blick scheint. Kurz nachdem der Politiker dem Moderator Wolf mit Konsequenzen drohte, stellte die FPÖ ein neues Wahlkampfvideo online. Darin kommt eine dümmliche Fernsehmoderatorin namens „Arminia Wolf“ vor – ein bösartiger Seitenhieb auf den kritischen ORF-Moderator. Auch dass Wolf ihn mit der einschlägigen Karikatur der Jungfreiheitlichen konfrontieren wird, konnte Vilimsky wohl kaum derart überraschen. Schließlich wurde über die Zeichnung schon Stunden zuvor auf Twitter heftig diskutiert. Und statt sich zu entschuldigen, forderte Vilimsky danach auch noch den ORF-Direktor öffentlich auf, Wolf vor die Tür zu setzen.
Auch Norbert Steger, der Vorsitzende des ORF-Stiftungsrat, dem mächtigen Aufsichtsratsgremium des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, stellte sich nicht schützend vor den ORF-Journalisten. ORF-Aufsichtsratschef Steger war selbst lange Zeit FPÖ-Politiker und sitzt im Auftrag der Freiheitlichen in diesem ORF-Gremium. Er richtete Wolf kurz nach dem Eklat im ORF-Studio in einem Interview aus, er solle doch eine Auszeit vom Job nehmen – natürlich auf Kosten der Steuerzahler.
Einschränkung der Pressefreiheit
Auch ist der freiheitliche Angriff auf Wolf nur ein weiterer von vielen Attacken auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und auf kritische Journalisten und Journalistinnen in Österreich. Schon kurz nach der Angelobung der ÖVP-FPÖ-Regierung teilte FPÖ-Chef und Vizekanzler Heinz-Christian Strache ein Bild von Armin Wolf auf Facebook. Im Bildtext wurde behauptet, der ORF und Armin Wolf würden in ihrer Berichterstattung Lügen zu Wahrheiten machen. Einem Gerichtsverfahren entging der Vizekanzler nur, weil er sich öffentlich bei Wolf entschuldigte. Das von der FPÖ geführte Innenministerium forderte wiederum die Polizei-Landespressestellen auf, jenen Medien, die von der FPÖ als zu kritisch empfunden werden, künftig nur „das nötigste (rechtlich vorgesehene) Maß“ an Informationen zur Verfügung zu stellen. Und weil der Chef des ORF-Politmagazins „Report“ in einem Interview mit dem österreichischen Bundespräsidenten diesen nach Ansicht der FPÖ zu hartnäckig nach den rechtsextremen Verstrickungen der FPÖ befragte, musste sich der Journalist vom FPÖ-Mediensprecher den Vorwurf des „Gesinnungsjournalismus“ gefallen lassen. Gleichzeitig möchte die rechtskonservative Bundesregierung den öffentlich-rechtlichen Rundfunk auch finanziell unter Kontrolle bringen. Geht es nach den Wünschen der Regierung, soll der ORF bald nicht mehr durch die von den Zusehern errichteten Gebühren finanziert werden, sondern direkt aus dem Staatsbudget. Das würde den Einfluss der Politik auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk massiv erhöhen.
Rechte wollen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk orbanisieren
Was das Ziel dieser freiheitlichen Attacken ist, verriet ein weiterer FPÖ-Politiker in einem Vortrag, zu dem ihn die AfD vor einem Jahr nach Deutschland eingeladen hatte. „Was die AfD von der FPÖ lernen kann“, lautete der Titel des Abends, zu dem die Thüringer AfD den FPÖ-Politiker Elmar Podgorschek eingeladen hatte. „"Was wir unbedingt durchführen müssen, ist eine Neutralisierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks", sagte er unter Applaus des AfD-Publikums. "Auch auf die Gefahr hin, dass uns eine sogenannte ,Orbanisierung' vorgeworfen wird. Das müssen wir durchziehen."
Genau darum geht es nun auch in Österreich. In Ungarn und Polen ist diese „Neutralisierung“, die in Wirklichkeit nichts anderes ist als eine Zerstörung kritischer, unabhängiger Medien und des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, bereits weit fortgeschritten. Im Gegensatz dazu hat Österreich noch eine unabhängige Presselandschaft und einen funktionierenden öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Österreich ist also noch lange nicht Ungarn oder Polen. Aber mit Riesenschritten auf dem Weg dorthin.
Nina Horaczek ist Chefreporterin der Wiener Wochenzeitung Falter (www.falter.at)