Frei, fair und lebendig – die Macht der Commons

Leseprobe

Der Wunsch nach einer gerechteren Welt ist kein utopischer Traum. Das zeigt dieses Buch anschaulich anhand vieler Beispiele und in vielen Details. Es zu lesen ist der erste Schritt, die Welt mit einer neuen Offenheit und mit neuen Ideen anzuschauen. Die Suche nach neuen Perspektiven war auch unser Ansinnen, als wir uns dazu entschlossen, dieses Buchprojekt zu unterstützen. Wenn es Kontroversen auslöst und neue Debatten anstößt, hat es sich schon gelohnt.

Lesedauer: 14 Minuten

Wie ein viraler Infekt machen sich zurzeit Angst und Desorientierung breit. Sie erfassen unser Denken und unser Fühlen. Vernunft, Argumente und Fakten scheinen ungeeignet, diesem Phänomen zu trotzen. Das gilt im Alltag wie in politischen Diskussionen. Die etablierten Parteien wirken ratlos, verfallen angesichts schlechter Umfragewerte in eine Art Schockstarre oder reagieren mit Aktionismus,  der auch nichts besser macht. Diesem Trend stellt sich unser Buch entgegen. Es will Mut machen. Doch das Unbehagen ist groß und oft diffus. Viele Menschen fürchten ihren sozialen  Abstieg, weitere Finanzkrisen, Klimakatastrophen, Terroranschläge und fremde Mächte und  Kulturen. 

Einige machen, enttäuscht über die Unfähigkeit der Politik, Probleme zu lösen, ihrer Frustration öffentlich Luft. Wieder andere suchen ihr Heil bei Populisten, die mit simplen Parolen Abhilfe versprechen. In deren Schwarz-Weiß-Welt werden vollmundige Versprechen zwar nicht eingelöst, aber die Schuldigen für alle Übel der Welt leicht ausgemacht. In dieser Entweder-oder-Welt präsentieren sich die Dinge übersichtlich und fassbar. Auch das Versprechen von Mauern und martialisch gesicherten Grenzen dient diesem Zweck.
Und ebenso die Rückbesinnung auf die Nation. Zwar hat die Geschichte gezeigt, dass nationalistische Parolen uns noch nie von irgendwelchen Übeln erlösten, doch scheint dies keine Rolle zu spielen. Der Nationalismus feiert fröhliche Urständ, und der Parteiendemokratie will es nicht gelingen, dieser Idee etwas kraftvolles Anderes entgegen zu stellen.

Natürlich gibt es gute Gründe, sich in Anbetracht globaler und lokaler Herausforderungen Sorgen zu machen. Deshalb gehen Menschen in vielen Städten auf die Straße – allerdings ohne die Verärgerung in etwas Produktives kanalisieren zu können. Trotzdem werden die Donald Trumps dieser Welt von sehr vielen Menschen nicht nur gewählt, sondern sie verlieren auch dann nicht den Rückhalt ihrer Anhängerschaft,  wenn sie die globalen Probleme noch verstärken, Mauernerrichten und sich selbst in eine endlose Kette von Skandalen und juristischen Problemen verstricken. Sie bleiben Hoffnungsträger für viele Menschen. Warum?

Neben der bereits erwähnten Schwarz-Weiß-Übersichtlichkeit in einer komplexen Welt vermittelt unerschütterliche Gefolgschaft auch ein Gefühl von Zusammengehörigkeit. Das ist nicht zu unterschätzen, denn Angst und Orientierungslosigkeit haben viel mit Identitätserschütterungen zu tun. Sie werfen, um bei Richard David Precht Anleihe zu nehmen, die Frage auf: Wer sind wir und wenn ja wie  viele?  Was  resultiert  aus  der  von  uns  empfundenen  Machtlosigkeit?  
Was geschieht mit einer Gesellschaft, wenn das Gefühl der Zugehörigkeit, ja, der Geborgenheit  zerbricht,  das  weder  Markt  noch  Staat  ersetzen  können?  Wie  lässt  sich  Gestaltungsmacht  wiedergewinnen,  ohne  dass  wir  vorher  alle  existierenden  Strukturen zerschlagen?
Was wir beobachten, erinnert ein wenig an die »Kopernikanische Wende« und ihre Folgen. Der Vergleich mag gewagt erscheinen. Doch lesen wir nach beim Psychoanalytiker  Horst  Eberhard  Richter.  »Die  Welt  des  mittelalterlichen  Lebensgefühls kann als kreisförmig beschrieben werden«, schrieb er 1979. In dem geozentrischen Weltbild kreisten die Gestirne um die Erde. Aber der Mensch war unten, und Gottes Auge überwachte ihn von oben. Die Welt war in sich geschlossen wie auch der menschliche Lebenszyklus, der in Gott anfing und endete.« Kopernikus zerbrach im 16. Jahrhundert dieses geordnete geozentrische Weltbild und verwandelte den Menschen in ein hilfloses und scheinbar gottverlassenes Wesen, das auf einem Erdkrümel ziellos durch das Weltall trieb. Richter verglich die aus diesem Paradigmenwechsel resultierende Reaktion der Menschheit mit der eines Kindes, das den Glauben an die Allmacht der Eltern verloren hat. Nun versucht es (in oft nervig-destruktiver Art und Weise), selbst Kontrolle über alle und alles zu gewinnen.  Diesen  Drang  der  Menschheit,  vergleichbar  mit  der  gottgleichen  Allmacht,  bezeichnet Richter als »Gotteskomplex«.

Auch wir fühlen uns heute erschlagen von der Erkenntnis, dass uns die Koordinaten abhandengekommen sind. Wenn wir agieren, wie Ökonomen es in Lehrbüchern beschreiben, ruinieren wir die Erde. Wenn wir der Logik eines Mehrheitswahlrechts  vertrauen  und  uns  auf  den  Staat  verlassen,  können  wir  von  heute  auf  morgen  ohne  Rückhalt  dastehen.  Trotz  Jahrzehnten  des  Wirtschaftswachstums,  trotz  Wohlstand  und  all  der  Fortschritte  in  Technologie  und  Wissenschaft,  trotz  aller Bemühungen der Diplomatie und ungeachtet unserer ganz individuellen Investitionen  in  Bildung,  Beruf  und  Karrieren  scheinen  sämtliche  Probleme  ungelöst: Unser Automobil verfügt zwar über Rundum-Airbag und warnt uns vor Rehen auf der Fahrbahn, aber wir fürchten uns vor Asteroideneinschlägen aus dem All.

Unsere Raumsonden finden Wasser auf dem Mars, aber wir wissen vielerorts nicht, woher wir das Wasser nehmen sollen, das die Menschen auf der Erde trinken müssen. Wir beginnen, die Gene unserer ungeborenen Kinder zu editieren wie einen Text auf unserem Computer, aber wir wissen nicht, wer unsere Alten und Kranken pflegen soll. Wir finanzieren ein Heer von Diplomaten, die kreuz und quer die Welt bereisen und von einem Krisengipfel zum nächsten jetten, aber trotzdem müssen Menschen aus ihrer Heimat fliehen. Wir fühlen uns hilflos. Wie machtlose Individuen, die zum Spielball der Geschichte werden.

Also greifen wir – bewusst oder instinktiv – zum wirksamsten Mittel, das die Evolution uns zur Bewältigung von Furcht und realer Gefahr in die Wiege gelegt hat: Wir suchen Unterstützung! Wir verbünden uns mit Unseresgleichen und besinnen uns auf das gemeinsame, koordinierte Handeln – die herausragende Stärke  aller  sozialen  Lebewesen.  Wir  erfahren,  dass  es  möglich  ist,  trotz  aller  Widersprüche  an  einem  Strang  zu  ziehen.  Wir  spüren,  dass  wir  in  unserer  misslichen  Lage  nicht  als  versprengte  Einzelne  verharren  müssen,  sondern  uns  fragen  sollten, durch welche Veränderungen und Praktiken wir gemeinsam etwas beitragen können,  die  drängendsten  Probleme  unserer  Welt  zu  lösen.  Und  dann,  an  dieser  Stelle,  stoßen  wir  auf  den  Angelpunkt  historischer  Prozesse:  Mit  wem  sollen  wir  uns verbünden? Mit wem sollen wir an einem Strang ziehen? Mit unserer Familie? Unserem Clan? Unserer Peer Group? Unserer Klasse? Unserem Stand? Mit denen, die »so ticken« wie wir selbst? Mit unserem Volk? Unserer Nation? Der sogenannten Völkergemeinschaft? Oder mit der ganzen Menschheit? Bei dieser Frage kippt ein intuitiv richtiger Handlungsimpuls den Gang der Geschichte rasch in eine unproduktive oder gar katastrophale Richtung. Das Eine (Peer Group) scheint zu unbedeutend,  das  Andere  (Volk)  zu  identitär  aufgeladen,  das  Dritte  wiederum  (die ganze  Menschheit)  zu  unermesslich.  Die  Antwort  liegt  daher  auf  einer  anderen  Ebene. Denn zu der Frage »mit wem« wir die Welt verändern wollen, gesellt sich der fundamentale Aspekt, »auf welcher Grundlage« und »in welche Richtung« wir die Welt verändern wollen.

Was die Grundlage der Weltveränderung angeht, so ist Eines klar. Wir müssen uns trotz  unseres  berechtigten  Interesses  an  individueller  Sicherheit  und  individuellem  Wohlergehen  darüber  im  Klaren  werden,  dass  unser  Wohlergehen auch das  Wohlergehen  der  Anderen  voraussetzt.  Wir  müssen  begreifen, dass unsere Freiheit auf der Freiheit der Anderen beruht und nicht eine Freiheit des isolierten Einzelnen  ist,  sondern  Freiheit in Bezogensein.  Die Frage  ist  also  nicht  einfach:  Können wir unsere Probleme gemeinsam meistern? Die Frage lautet: Können wir sie auf dieser Grundlage gemeinsam meistern? Und können wir uns so selber wieder als daseinsmächtig erfahren und uns nicht den Kräften des Marktes oder den Beschlüssen  sogenannter Entscheidungsträgerinnen  und  Entscheidungsträger« ausgeliefert fühlen? Diese Fragen sind leichter gestellt als beantwortet! Doch beginnen wir – so wie dieses Buch – bei den guten Nachrichten (Kapitel 1). Wir werden zeigen, wo und wie unzählige  Keime  einer  wirklich  tiefgreifenden  Transformation  bereits sprießen. 

Wir  werden  dabei  herausarbeiten,  was  genau,  welche  Beziehungen  und  welche  Umstände  sie  auf  welche  Weise  verändern.  Es  gibt  hunderttausende  Initiativen,  Kooperativen  und  Genossenschaften,  offene  Werkstätten,  Vereine  und  Verbünde  aller Art, die produktiv tätig sind, gemeinsame Ziele verfolgen oder bestimmte Probleme  lösen  –  ohne  kommerzielles  Interesse, aber  bewusst  selbstorganisiert.  Sie  sind unsere Inspiration, denn sie zeigen, was »jenseits von Markt und Staat« möglich  ist.  Ihr  Tun  kann  Tausende  von  Menschen  umfassen,  wie  im  Kooperativen verbund Cecosesola in Venezuela, oder auch nur drei, vier oder fünf Beteiligte wie bei einem Picknick auf der grünen Wiese. Sie können in Solidarischen Landwirtschaften  ökologisch  und  fair  Lebensmittel  produzieren  oder  sich  zusammentun,  um Betriebssysteme oder freie und offene Software zu entwickeln, um Hochleistungsmikroskope oder globale Expertennetzwerke aufzubauen. Einige dieser Praktiken  sind  neu  und  müssen  ihren  Bestand  noch  beweisen,  andere  existieren  und  funktionieren seit hunderten von Jahren. Das Spektrum jedenfalls ist riesig. Das ist auch deshalb so, weil viele Alltagspraktiken zwar nach Mustern des Commoning funktionieren  (Kapitel  4-6),  sich  die  Beteiligten  dessen  aber  keineswegs  bewusst  sind. Sie sind also Teil einer größeren Sache, erkennen dies aber nicht. Und zwar, weil ihre Gemeinsamkeiten oft im Verborgenen bleiben und weil uns die Sprache fehlt,  sie  zu  beschreiben  (Kapitel  3).  Mit  diesem  Buch  versuchen  wir  dies  zu  ändern.  So  können  auch  Jugendliche,  die  gemeinsam  ihren  Club  organisieren  oder Menschen, die über mehrgenerationelle Wohngemeinschaften nachdenken, »den Commoner in sich« entdecken.

Wer  die  inspirierenden  Aktivitäten,  die  wir  in  diesem  Buch  vorstellen,  angesichts des Klimawandels und der globalen sozialen Verwerfungen für schmerzhaft Frei, fair und lebendig – Die Macht der Commons winzig  empfindet,  der  verkennt  nicht  nur,  dass  es  nicht  um  die Reichweite  geschweige denn die Größe – einzelner Projekte geht, sondern um ihren Kern: um das, was sie ausmacht und was ihre transformatorische Kraft entfalten kann. Wer das nicht sieht, verkennt auch, was geschieht, wenn eine Saat aufgeht. Das ist, als würde man ein Reis-, Weizen- oder Maiskorn, eine Kartoffel oder eine Bohne betrachten und diese fragen: Aber bist Du nicht viel zu mickrig, um die Menschheit zu er nähren?

Es ist auch eine typische Reaktion von Leuten, die sich nicht trauen, neue Wege zu beschreiten; die stets auf »Bewährtes setzen« und keinen Mut für »Experimente« haben. »Never change a winning team!«, heißt es dann. Nun, nicht nur die alten Mittel  (Wirtschaftswachstum,  Marktfundamentalismus,  nationalstaatliche  Bürokratien) sind dysfunktional geworden, auch das alte Team (wir nennen es Markt-Staat) ist längst kein Team mehr, das gewinnt. Es ist nicht nur zum Sanierungsfall geworden, es ist nicht mehr sanierbar. Das liegt, so argumentieren wir, vor allem daran, dass es auf falschen Prämissen auf baut. Darauf hin haben wir viele »kleine Dinge«beobachtet  und  geprüft,  ob  sie  auf  anderen  Prämissen  auf bauen und so einen Keim für den Wandel des Ganzen enthalten. Wir beginnen dieses Buch mit diesem  Kern  –  einem  Seinsverständnis,  in  dem  es  um  Beziehungen  geht, ohne das ein wirklicher Paradigmenwechsel kaum stattfinden wird (Teil I, Kapitel 2 und 3). In Teil II wenden wir uns dann vielen Projekten, Initiativen und Strategien der sogenannten »Peer Governance« und des sorgenden und selbstbestimmten Wirtschaftens zu und arbeiten heraus, was sie vom kapitalistischen Marktwirtschaften unterscheidet. Viele Wirklichkeiten, denen sie hier begegnen werden, bleiben unter dem Radar der Öffentlichkeit. Sie werden kaum wahrgenommen oder einfach ignoriert, weil das Beschriebene vorgeblich »gar  nicht funktionieren  kann«,  denn »der Mensch ist nicht so«. Das sei »unrealistisch, ja weltfremd« – so die Phalanx der Skeptikerinnen und Skeptiker. Immerhin können wir darauf verweisen, dass es  diese  Initiativen,  diese  Menschen  und  ihre  vielfältigen  Motivationen gibt. Sie sind ganz und gar real und »von dieser Welt«. Die allgegenwärtige Reserviertheit ist vermutlich das Ergebnis einer jahrzehntelangen, schleichenden Indoktrination, die sich fest in unserem Denken und Fühlen festgesetzt hat! Vielleicht fehlt es den Menschen einfach an gelebter Erfahrung. An Commons-Erfahrung! Dinge zu tun, von denen andere »profitieren« (schon in diesem Wort sitzt der Wurm), ohne dabei selbst »übervorteilt« zu werden, scheint manchen schwer vorstellbar und ist doch eine  Selbstverständlichkeit.  Überall  in  der  Welt. Die meisten Menschen haben nicht  einmal ein Wort für die vielfältigen Phänomene, die wir  »Commons«  nennen. Sie sind unter anderem deswegen erfolgreich, weil sie mit maßgeschneiderten Peer-Governance-Formen (Kapitel 5) funktionieren und nicht bestrebt sind, sinnlos und selbstzerstörerisch über sich selbst hinauszuwuchern.

Damit keine Missverständnisse auf kommen. Es geht in diesem Buch nicht nur um die kleinen Schritte, die den Alltag verbessern. Es geht um eine Zukunftsvision für unser Miteinander, für die soziale Organisation, Infrastruktur, Wirtschaft und Politik. Denn, wie gesagt, dieses Buch soll Mut machen. Es zeugt von Souveränität ohne Nationalismus, Individualität ohne Ellenbogenmentalität, Gemeinsamkeit ohne Zwang. Es beschreibt, wie wir unsere Freiheit genießen können, ohne andere zu unterdrücken, und wie Fairness auch ohne bürokratische Kontrolle realisierbar ist. Der Guardian-Kolumnist George Monbiot hat den Anspruch gut zusammengefasst: »Ein Commons ... vertieft die Demokratie in ihrer wahrsten Form. Es zerstört die Ungleichheit. Es bietet einen Anreiz, die lebende Welt zu schützen. Es schafft, in Summe, eine Politik der Zugehörigkeit. «Das  spiegelt  auch  unser  Titel,  der  das  Fundament,  die  Struktur  und  die  Vision  der  Commons  zeigen  soll:  »Frei,  fair  und  lebendig«.  Jede  wünschenswerte Evolution  des  Systems  muss  die  Freiheit  im  weitesten  Sinn  respektieren  –  nicht nur die libertäre wirtschaftliche Freiheit des Vereinzelten. Sie muss die Fairness in den  Mittelpunkt  jedes  Systems  der  Bereitstellung  (Produktion)  und  Koordination  stellen. Und sie muss unsere Existenz als Lebewesen auf einer Erde erkennen, die selbst lebendig ist. Transformation kann nicht gelingen, ohne all diese Ziele gleichzeitig zu verwirklichen. Das ist das Commons-Programm! In Commons verbinden sich die großen Denktraditionen, die anderswo gegeneinander ausgespielt werden: Freiheit, Fairness und Enkeltauglichkeit.

Wenn wir Commons und Commoning beschreiben, dann weist dies über eingefahrene  Denk-,  Sprech- und Handlungsweisen hinaus. Man könnte das Buch daher als Verlern-Anleitung verstehen. Wer es liest, wird Wirtschaft nicht mehr als Geldwirtschaft begreifen; »unser Interesse« nicht als Gegenpol zu »meinem Interesse«; Staat nicht als einzige Alternative zum Markt – um nur einige Beispiele zu nennen. Das ist nicht wenig, denn das Gewohnte hat sich in unseren Köpfen und in  unserem  Alltag  festgebissen.  Es  hindert  uns  daran, die Welt freier, fairer und lebendiger zu machen. Und es prägt die Strukturen und die Wirkmacht von Markt und Staat. Wir plädieren daher für mehr Unabhängigkeit von beidem, für ein »jenseits von Markt und Staat«. Wie sonst sollten wir dieser merkwürdigen Logik entkommen, nach der wir erst uns und unsere Umwelt erschöpfen, um anschließend beides  wieder  reparieren  zu  müssen?  Und  dies  nur,  damit  sich  das  Hamsterrad  des Ewiggestrigen weiterdreht! Wie soll unabhängiges Handeln von Politikerinnen und Bürgern möglich sein, wenn alles von Arbeitsplätzen, Börsennachrichten und dem Wettbewerbsgeschehen abhängt? Wie sollen wir Neues tun, wenn die Grundmuster des Kapitalismus durch uns hindurchgehen und das Gemeinsame unterspülen? Wer dieses Buch liest, kann es umgekehrt auch als Handlungsanleitung verstehen; schließlich zeigt es, wie die Transformation gelingen kann. Strategisch gesprochen: indem wir (alt-)neue Lebensweisen jenseits von Markt und Staat in den Mittelpunkt rücken. Wir zeigen: So geht Commoning!

Und damit zurück zum Anfang und zu der Frage, auf welcher Grundlage wir die Welt transformieren wollen und wo Commoning beginnt. Unsere Antwort lautet:  bei  unserem  Weltverständnis,  bei  Menschenbild,  Seinsidee  und  Handlungsrationalität  (vgl.  Kapitel  2  und  3).  Wenn  wir  dies  vom  Kopf  auf  die  Füße  stellen,  gestaltet  sich  alles  daraus  Folgende  neu:  unser  Verständnis  vom  guten  Leben,  unser Miteinander (Kapitel 4), unsere Organisationsformen (Kapitel 5), unser Wirtschaften (Kapitel 6), unsere Eigentumskonzeption und unsere Praxis des Habens (Kapitel 7 und 8), unser Verhältnis zum Staat (Kapitel 9) und die Gestaltung von Institutionen und Politik (Kapitel 10).

Auf die »Macht der Commons« zu setzen stiftet Sinn und Beziehung, es lässt sich umsetzen und wirft zugleich die Verhältnisse um, denn Commons erfordern nicht nur eine andere Denk-,  Sprech- und Handlungsweise, sie sind eine andere Denk-, Sprech- und Handlungsweise. Das versuchen wir zu zeigen. In einigen dieser 10 Kapitel – etwa in unserer Auseinandersetzung mit dem Eigentum – blicken wir  weit  zurück  in  die  Geschichte.  In  anderen  verdeutlichen  wir, wie aus einem relationalen Seinsverständnis neue Begriffe hervorgehen (Kapitel 3), um anschliend zu beschreiben, wie diese mit einem zukunftsfähigen Eigentums- und Politikverständnis verbunden sind (Kapitel 8, 9 und 10). Ausflüge in verschiedene Kulturen und Praktiken – analog und digital, rurban und glokal – machen das Buch zudem  zu  einer  hoffentlich auch unterhaltsamen Reise durch die Welt der Commons. Im Text wimmeln die Ideen,  Konzepte  und Geschichten lebendiger Commons. Denn: Commons sind nicht, sie werden gemacht. Herzstück (wenngleich nicht Fundament) des Buches ist gewiss die Darstellung, wie sie gemacht werden.

In den Kapiteln 4, 5 und 6 wird in  sogenannten Mustern beschrieben, wie sich Commoning lebt und anfühlt (die Kultur der Commons), wie sich Commons »regieren« (bewusste Selbstorganisation durch Gleichrangige bzw. Peer Governance) und wie ein Wirtschaften aussieht, das Commons statt Waren erschafft. Kurzum, es wird gezeigt, dass auch Häuser und Fahrzeuge gebaut werden können wie die Wikipedia. Und es wird darüber nachgedacht, was das für das Ganze bedeutet.

Das Buch stiftet an, es den Commoners dieser Welt gleich zu tun. Das verändert nicht nur Wirtschaft und Politik. Es verändert uns. Der Homooeconomicus wird sich einen anderen Platz in der Geschichte suchen müssen.

Anmerkung
Einige Dokumente, die wir dem Buch angehängt haben, werden Ihnen einen tieferen  Einblick  in  unseren  Arbeitsprozess  geben. So beschreiben wir in Anhang II – sehr knapp – unser methodisches  Vorgehen zur Identifizierung der Muster des Commoning. In Anhang III erfahren Sie mehr über die Grammatik der visuellen Sprache, mit der diese Muster so passend illustriert wurden. Das Register der Commons und Commons-Instrumente bringt Sie schnell zu den Seiten, auf denen verschiedene Projekte, Netzwerke, Verbünde und Politiken vorgestellt werden.