Die Bürgerschaftswahl in Bremen steht mit etwas unter 500.000 Wahlberechtigten normalerweise im Schatten anderer Wahlen. Da sie aber in diesem Jahr die einzige Landtagswahl in einem der westlichen Bundesländer ist und dazu noch mit dem Termin der Europawahl zusammenfiel, richteten sich die Augen aus Berlin dieses Mal auch auf das kleinste Bundesland.
Vor allem die Frage, ob die SPD, die den Zweistädtestaat seit 73 Jahren ununterbrochen regiert, nur zweiter Sieger hinter der CDU wird, weckte bundesweit das Interesse politischer Beobachter. Obwohl der Auszählvorgang in Bremen aufgrund des komplizierten Fünfstimmenwahlrechts noch läuft und das amtliche Ergebnis erst in den nächsten Tagen bekanntgegeben wird, steht die SPD mit ca. acht Prozentpunkten Verlust gegenüber 2015 als großer Verlierer fest. Zusammen mit dem enttäuschenden bundesweiten Wahlergebnis bei der Europawahl wird diese Niederlage in einer der letzten Bastionen der SPD voraussichtlich auch Auswirkungen auf die weitere Entwicklung in der Großen Koalition und innerhalb der Sozialdemokratie haben.
Die Bremer CDU kann sich zwar darüber freuen, zum ersten Mal in ihrer Geschichte vor der SPD zu liegen, aber der Vorsprung ist mit fortschreitender Auszählung der Stimmen auf ca. einen Prozentpunkt geschrumpft (26,3 zu 25,3 Prozent). Für den Anspruch der Bremer CDU, 30 Prozent plus x zu erzielen, ist das eher enttäuschend und zeigt, dass es der CDU trotz einer negativen Leistungsbewertung der rot-grünen Regierungskoalition durch die Wähler*innen nicht gelungen ist, eine wirkliche Trendwende und Wechselstimmung zu erzeugen.
Mehr als zufrieden können dagegen die Grünen sein, die nach 12 Regierungsjahren, in denen eine grüne Finanzsenatorin einen harten Sparkurs zum Einhalten der Schuldenbremse verantworten musste, zulegen konnten und eindeutig zu den Wahlgewinnern gehören. Mit ihrer erstmals antretenden Spitzenkandidatin Maike Schäfer, einer promovierten Biologin, haben sie einen auf die klassischen grünen Themen orientierten Wahlkampf geführt (Klimapolitik, Ausstieg aus der Kohleverstromung, Verkehrswende und Qualitätsoffensive in der Bremer Bildungspolitik) und damit punkten können. Unter den Erstwähler*innen (in Bremen gilt das Wahlrecht ab 16 Jahre) wurden die Grünen sogar mit Abstand stärkste Partei. Selbst das Offenhalten der Koalitionsfrage, an der Basis der Grünen nicht unumstritten, hat ihnen nicht geschadet. Mit ca. 17,5 Prozent werden die Grünen voraussichtlich darüber entscheiden, zu welcher Dreierkoalition es kommt, nachdem die SPD eine ebenfalls mögliche Große Koalition mit der CDU im Vorfeld der Wahl ausgeschlossen hatte. Die Grünen haben sich am Wahlabend weder für eine Jamaika-Koalition noch für eine Linkskoalition ausgesprochen, sondern gehen erst einmal mit dem Vorsatz in die Sondierungsgespräche, mit denjenigen zu koalieren, die bereit sind, am meisten grüne Inhalte im Koalitionsvertrag zu verankern und in der nächsten Legislaturperiode durchzusetzen. Eine Jamaika-Koalition könnte an den erheblichen programmatischen Differenzen zwischen Grünen und FDP scheitern, eine Linkskoalition wäre mit einem klaren Wahlverlierer SPD und einer Linkspartei, die die Entschuldungspolitik der vormaligen rot-grünen Koalition in Frage stellt, ebenfalls schwierig zu realisieren.
Die Linkspartei in Bremen kann sich ähnlich wie die Grünen über Zugewinne freuen und erreicht beim gegenwärtigen Stand der Auszählung mit 10,7 Prozent zum ersten Mal ein zweistelliges Ergebnis bei einer Bürgerschaftswahl. Wähler*innen honorieren, dass die Linkspartei in Bremen relativ pragmatisch auftritt und mit ihrer Spitzenkandidatin Kristina Vogt und einer professionell agierenden Parlamentsfraktion in den letzten Jahren eine konstruktive Oppositionspolitik verfolgt hat. Sie hat sich bereits für eine linke Regierungskoalition ins Spiel gebracht.
Enttäuschend war der Wahlabend für die FDP und die AfD. Mit ihrem allein auf die Spitzenkandidatin Lencke Steiner ausgerichteten Wahlkampf hat die FDP mit Mühe die Fünfprozenthürde überschritten und hofft nun darauf, dass es zu einer Jamaika-Koalition kommt, in der sie gerne das Wirtschaftsressort übernehmen möchte. Hinter ihren Erwartungen zurückgeblieben, und das ist neben der um gut 12 Prozentpunkte gestiegenen Wahlbeteiligung eine der besten Nachrichten des Wahlabends, ist auch die AfD, die zurzeit um die sechs Prozent pendelt und damit kaum gegenüber der Bürgerschaftswahl 2015 zulegen konnte. Aufgrund einer Besonderheit des Bremer Wahlrechts wird außerdem erneut ein Abgeordneter der Wählervereinigung Bürger in Wut aus dem Wahlbereich Bremerhaven in die Bürgerschaft, die 84 Sitze umfasst, einziehen. Betrachtet man die langfristige Entwicklung des Bremer Parteiensystems hat die Fragmentierung mit sieben in der Bürgerschaft vertretenen Parteien bzw. Wählervereinigungen deutlich zugenommen und die SPD ihre jahrzehntelange Dominanz verloren. Bremen geht, insbesondere mit Blick auf die anstehende Regierungsbildung, auf spannende Zeiten zu.
Hinweis:
Im Laufe des Tages werden wir hier noch eine Wahlanalyse von Sebastian Bukow veröffentlichen.