Die Welt muss gemeinsam handeln: Für eine neue Governance der Ozeane

Fast die halbe Erde ist von Meeresgebieten bedeckt, die jenseits der Grenzen nationaler Hoheitsgewalt liegen („areas beyond national jurisdiction“). Sie gehören zu den heute am wenigsten global geschützten und verantwortungsvoll verwalteten Gebieten der Erde. Das ist angesichts der Bedeutung der Meere für unsere Ernährung, den Schutz des Klimas und für die Biodiversität verantwortungslos und muss sich schnell ändern.

Lesedauer: 6 Minuten
Infografik aus dem Meeresatlas 2017: Für eine neue Governance der Ozeane
Teaser Bild Untertitel
(Ausschnitt aus kompletter Grafik unten)

Die Meere und ihre Ressourcen als Menschheitserbe, als globales Gemeingut anzuerkennen, ist ein alter Menschheitstraum. 1967 hatten der maltesische UN-Botschafter Arvid Pardo und Elisabeth Mann-Borgese die Idee, die Meere zugunsten der gesamten Menschheit zu verwalten, der sogenannten „Freiheit der Meere“ gegenüber gestellt. Als völkerrechtliches Prinzip ist das „gemeinsame Erbe der Menschheit“ für die Meere immerhin partiell beim Seerechtsabkommen von 1982 (UNCLOS) für den Meeresboden und seine mineralischen Ressourcen jenseits nationalstaatlicher Grenzen („das Gebiet“) verankert worden. Das Seerechtsabkommen ist das „Grundgesetz“ der Meere. Es etabliert ein System unterschiedlicher Meereszonen, verbindet diese mit Regeln für Nutzungsrechte und Verpflichtungen zum Schutz und gibt ihm einen institutionellen Rahmen.

Neben internationalen Organisationen mit Zuständigkeiten für einzelne Nutzungssektoren, wie zum Beispiel der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation oder der Internationalen Seebodenbehörde für den Tiefseeberg­bau, gibt es im Meeresschutz eine Vielzahl regionaler Meeresschutzabkommen und Aktionspläne, die über 140 Länder einbinden. Regionen arbeiten zusammen, um Meeresverschmutzung, beispielsweise durch Abfälle oder Nährstoffeinträge von Land aus, zu verhindern oder den Schutz der Biodiversität durch Meeresschutzgebiete voranzutreiben. Regionale Fischereiorganisationen und -abkommen wollen die Fischbestände „nachhaltig“ bewirtschaften. Und unter dem Dach der Konvention für biologische Vielfalt wurde beschlossen, 10 Prozent der Ozeanflächen unter Naturschutz zu stellen (Wissenschaft und Naturschutzorganisationen fordern hier sogar 30 Prozent).

Bild entfernt.

Die Meeres-Governance, das System also für das Management und die nachhaltige Nutzung der Meere, bleibt jedoch unzureichend. Der institutionelle Rahmen mit unterschiedlichen Abkommen für die Seeschifffahrt, die Fischerei, den Walfang, den Abbau von Bodenschätzen und den Meeresschutz ist zerstückelt und es gibt zu wenig internationale Abstimmung und Zusammenarbeit untereinander. Zudem werden vereinbarte Regeln und Ziele häufig nicht oder nur unzureichend umgesetzt. Wir sind zum Beispiel weit davon entfernt, bis 2020 10 Prozent der Meeresgebiete als Naturschutzgebiete auszuweisen. Es existieren zu wenig Sanktionsmechanismen für die Nichteinhaltung von Abkommen.

Ganzheitliche globale Strategien zur integrierten Governance, die der Komplexität der Ökosysteme der Meere gerecht werden, gibt es nicht – auch wenn das Seerechtsübereinkommen sehr richtig unterstreicht, „dass die Probleme des Meeresraums eng miteinander verbunden sind und als Ganzes betrachtet werden müssen“. Das muss sich dringend ändern, wenn eine internationale Governance für Ozeane es schaffen soll, die Weltozeane und ihre Ressourcen so zu managen und zu nutzen, dass unsere Ozeane reich, produktiv und sicher bleiben – auch und gerade für die kommenden Generationen.

Neue Hoffnung – SDG 14, ein Nachhaltigkeitsziel für die Meere

Eine große Gelegenheit für einen ganzheitlicheren Ansatz beim Meeresschutz ist mit der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung verbunden, die 2015 von den Vereinten Nationen verabschiedet wurde.

Dem Schutz und der nachhaltigen Entwicklung der Ozeane, Meere und marinen Ressourcen ist darin ein eigenes Ziel – Sustainable Development Goal (SDG) 14 – gewidmet. Sieben Unterziele des SDG 14 wollen die Meeresverschmutzung vermeiden, die Meeresökosysteme schützen, die Überfischung beenden, Meeresschutzgebiete ausweisen oder die Folgen der Ozeanversauerung bekämpfen. Auch soll illegale, nicht gemeldete und unregulierte (IUU-)Fischerei gestoppt werden. Neben den Unterzielen von SDG 14 sind die Querverbindungen zu anderen Zielen, zum Beispiel nachhaltigem Wachstum (SDG 8) oder nachhaltigen Konsum- und Produktionsmustern (SDG 12), für den Meeres- und Ressourcenschutz wichtig.

Vorschläge und konkrete Schritte zur Zielerreichung von SDG 14 reichen bisher nicht aus. Analog zum Klimaabkommen sollten Staaten über ihre Zusagen und Maßnahmen, wie sie das SDG 14 erreichen, an ein zentral verwaltetes Register berichten. Damit würde Transparenz und längerfristige Überprüfbarkeit hergestellt. Zudem müsste vor allem die sektorenübergreifende und regionale Zusammenarbeit zum Meeres- und Ressourcenschutz gestärkt werden. Das SDG 14 mit all seinen Unterzielen und Verknüpfungen mit den anderen SDGs ist ein hervorragender Ausgangspunkt, um die alten „Silos“ zu verlassen und kohärentere Strategien für den Meeresschutz zu entwickeln.

Regelmäßige thematische Überprüfungen der Ziele könnten diese Kohärenz stärken und mögliche Zielkonflikte mit anderen SDGs erfassen, um eine integrierte Umsetzung voranzubringen.

Noch fehlt den Nachhaltigkeitszielen für die Meere aber der Biss. Eine erste Chance bietet sich bereits im Juni 2017 auf der Ozeankonferenz der Vereinten Nationen, auf der konkrete Schritte zur Umsetzung von SDG 14 international vereinbart werden sollen. Und im Oktober 2017 lädt die Europäische Union zur vierten „Our Ocean“-Konferenz nach Malta ein, gefolgt von Indonesien 2018 und Norwegen 2019.

Schutz und nachhaltige Nutzung der „hohen See“

In jenen Meeresgebieten, die außerhalb der Zuständigkeit von Staaten liegen, fehlt ein umfassender Rahmen für den Schutz und die nachhaltige Nutzung der Biodiversität. Ein neues Abkommen, das unter dem Dach der UNCLOS angesiedelt werden soll, würde Regulierungslücken, zum Beispiel bei Schutz und gerechtem Zugang zu marin-genetischen Ressourcen, schließen und das gebietsbezogene Management von Meeresschutzgebieten verbessern. Eine Staaten­konferenz im Jahr 2018 sollte mit den Verhandlungen dazu beginnen.

Tiefseebergbau

Eine weitere zukünftige Herausforderung für die Meeres-Governance ist der Tiefseebergbau. Bislang läuft die Erkundung (Exploration) – Tiefseeböden und Tiefsee sind kaum wissenschaftlich erforscht. Der Abbau von Bodenschätzen findet in den Gebieten jenseits nationaler Hoheitsgewalt bisher noch nicht statt. Die Risiken von Umweltschäden durch den Bergbau werden als sehr hoch eingeschätzt. Zurzeit werden globale Umweltregularien für den Tiefseebodenbergbau entwickelt. Hier stellt sich allerdings auch eine grundsätzliche und ethische Frage: Soll die Menschheit überhaupt in den riskanten Tiefseebodenbergbau einsteigen? Gegenwärtig gibt es keinen Bedarf an diesen Ressourcen. Die Tiefsee sollte in Zukunft als „gemeinsames Erbe der Menschheit“ geschützt, erforscht und zum gemeinsamen Wohl verwaltet werden. Ein Nein zum Tiefseebodenbergbau wäre jedenfalls ein Signal, dass wir die Meere wirklich schützen wollen.
Die Ozeane dieser Welt müssen in den Mittelpunkt wirkungsvoller und verbindlicher internationaler Absprachen rücken. Dazu werden im Kontext der Vereinten Nationen und der Europäischen Union gerade neue Weichen gestellt. Die Umsetzung ambitionierter SDGs für die Meere können die Kooperation zum Meeresschutz stärken und Ideen befördern, wie gravierende Regulierungslücken im Meeresschutz geschlossen werden können.

» Den gesamten Meeresatlas können Sie hier herunterladen.