Eine unerträgliche Frau

Feministischer Zwischenruf

Olympiasiegerin Caster Semenya darf ab jetzt wieder diskriminiert werden - wie lange noch?

Olympiasiegerin Caster Semenya
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Olympiasiegerin Caster Semenya

Jetzt soll also die heiß umstrittene Regel des Internationalen Leichtathletikverbandes in Kraft treten, nach der als Frau bei bestimmten Rennen nur starten darf, wer unterhalb eines festgelegten Testosteron-Grenzwertes bleibt. Gerade hat der zuständige Sportgerichtshof CAS grünes Licht für die Regelung gegeben, die die südafrikanische Mittelstreckenläuferin Caster Semenya, der über einen auffallend hohen Testosteronspiegel verfügt, dazu zwingt, Antiandrogene zu schlucken, wenn sie weiter als Frau starten möchte.

Der CAS ist dafür schon kräftig gescholten worden. Zu auffällig scheint die Diskriminierung, die in diesem doch recht willkürlich anmutenden Akt der Grenzsetzung nach Hormonstatus liegt. Schließlich gebe es für Schwimmer ja auch keine Schuhgrößen-Beschränkung, finden die Kommentator*innen unter Verweis auf Michael Phelbs' Riesenfüße. Und Basketballer dürfen bisher auch ungehindert gen Himmel wachsen. Nur, weil es noch Männer gibt, müssen Frauen in einer willkürlichen Norm unter ihnen angesiedelt bleiben?

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Auch fällt unangenehm auf, dass hier eine Vertreterin marginalisierter Weiblichkeit quasi ein weiteres Mal ausgeschlossen wird: Eine schwarze Frau vom Land, die aus einem Apartheidsystem kommt, und als "nicht weiblich genug" gilt. Kein Wunder, dass es da in den Gerechtigkeitsnerven böse zuckt und ziept. Sind hier Rassismus, Sexismus und auch eine Art "Interphobie" am Werk?

Das CAS-Urteil aber ist ein bisschen weniger skandalös, als es sich zunächst anhört. Denn die Kritik übersieht weitgehend, dass der Sport, wie er heute ist, Geschlechterunterschiede machen muss. Weite Teile des Sports sind inhärent patriarchal, indem sie den starken Körper idealisieren. Und da die Körper, die wir männlich nennen, durchschnittlich über mehr Kraft verfügen, ist es kein Wunder, dass Frauen in Disziplinen, in denen es vorrangig um Kraft geht, insgesamt den Kürzeren ziehen. Man könnte nun einen Sport ohne Androzentrik herbeifantasieren: Wettkämpfe würden so gestaltet dass Körperbau und Muskelkraft künstlich ausgeglichen werden können durch Prothesen oder Medikamente. Oder man ließe nur noch Wettkämpfe in Disziplinen zu, in denen Körperkraft und -bau kaum eine Rolle spielen.

Im Moment aber ist die Geschlechterunterscheidung im Sport eher hilfreich. Wäre sie aufgehoben, dann würden Frauen bis ans Ende unserer Tage in Bezirksligen versauerten, während Männern zur Primetime zugejubelt würde. Das wäre der inneren Genderologin sicher auch nicht recht.

Der Leichtathletikverband ist gezwungen, im Hier und Jetzt zu agieren. Man sollte ihm zugute halten, dass er sich dabei von einem materiellen Gender-Marker mittlerweile verabschiedet hat. Mussten früher Sportlerinnen nackt vor der Jury antreten, um ihre Vulven und damit ihre Weiblichkeit zu präsentieren, so zeigte sich mit jedem Fortschritt der Wissenschaft, dass weder eine Vagina, noch zwei x-Chromosomen noch ein bestimmtes Gen auf einem Chromosom das Geschlecht definiert. Immer gab es Beispiele, bei denen es anders war. Es gibt offenbar kein Ding, das das Geschlecht festlegt. Es gibt nur ein Kontinuum, mit Häufungen von Merkmalen in zwei Wolken, die wir weiblich und männlich genannt haben.

Die IAAF hat folgerichtig ihre beiden Leistungsklassen Mann und Frau ebenfalls auf einem Kontinuum angesiedelt anstatt sie wie früher durch einen bestimmten Marker zu unterscheiden. Wir alle haben Testosteron im Blut. Viel Testosteron sorgt in der Regel für einen kräftigeren Körperbau, einen "männlich" genannten Phänotyp - in all seinen Varianten. Die IAAF hat ermitteln lassen, dass der Testosteron-Wert bei "Frauen" normalerweise zwischen 0,12 und 1,79 und bei "Männern" zwischen 7,7 und 29,4 nmol/l liegt. Aber wo ist nun die Grenze zwischen den beiden Wolken? Die Mathematik würde schlicht den Mittelwert vorschlagen, dann aber landete man mitten in der Männerwolke, bei 19 nmol/l. Biologie ist eben nicht Mathematik. Also versuchte die IAAF herauszufinden, ab wann eine Frau von einem erhöhten Testosteronwert profitiert. Bei aller Vorsicht einer Laiin in diesen Dingen: Das klingt ziemlich unmöglich. Denn wenn jedes Molekül mehr eine Leistungssteigerung bringt, dann müsste sich die Spitze der Leichtathletik in eine ordentliche Reihe bringen lassen, mit absteigendem Testosteronwert von Platz 1 bis x. Klingt eher unwahrscheinlich. Der Grenzwert 5 sagt also nur, dass es der IAAF ab hier irgendwie zu viel wird. Logischer wäre dann aber z.B. die 7,7, weil hier laut Medizin die Wolke der Männer anfängt.

So aber befindet sich Caster Semenya in einem Niemandsland zwischen den beiden Wolken. Nun soll sie passend gemacht werden, in die Wolke der Frauen zurückgedrängt. Das aber ist weder fair noch gerecht. Zu gewichtige Güter stehen dagegen.

Zum einen sind es die Werte des Sports selbst. Sie verbieten die hormonelle Manipulation. Die Körper sollen sich in ihrer vorgefundenen hormonellen Ausstattung messen. Und das bedeutet: Wer das Glück hat, viel Testosteron zu haben, hat eben Glück. Genauso wie der Schwimmer Michael Phelbs mit seinen großen Füßen.

Zum zweiten ist die hormonelle Manipulation ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit. Ein Sportverband kann schlecht eine Regel aufstellen, die ein Menschenrecht verletzt.

Zum Dritten wird damit die Minderheit der Menschen, die zwischen den Wolken der Männer und Frauen lebt, diskriminiert. Die Minderheit kann nichts daran ändern, dass wir unsere Welt nach zwei Häufungen von Testosteronwerten aufteilen und nicht nach drei oder 50. Deshalb kann sie Minderheitenschutz für sich geltend machen.

Caster Semenya kann nun das Schweizer Bundesgericht anrufen. Wenn das Gericht die Menschenrechte ernst nimmt, müsste es die IAAF-Regel wieder kassieren. Und die Welt könnte weiterhin eine Ausnahmesportlerin mit besonders günstigen Anlagen bewundern.